Arche Noah | Roman aus Ägypten
Leiter eines Fachbereichs mit ihm zu tun.
Eines trüben Morgens klopfte der Oberstleutnant an seine Bürotür. »Guten Morgen, Herr Professor.«
»Guten Morgen.«
»Ich habe gehört, dass Ihnen heute früh der Führerschein abgenommen wurde.«
»Ach, du meine Güte! Das ist gerade mal eine Stunde her, und da hat sich die Nachricht schon bis zu Ihnen herumgesprochen?«
»Wie Sie wissen, Herr Professor, bekommen wir alles mit. In diesem Land bleibt uns nichts verborgen. Geben Sie mir doch die Quittung, dann hole ich eben den Führerschein ab, bevor er beim Verkehrsamt landet.«
»Aber das ist doch nicht nötig.«
»Dafür bin ich schliesslich hier. Es ist meine Aufgabe, den Professoren zu Diensten zu stehen.«
»Vielen Dank. Bitte, hier ist die Quittung.«
Oberstleutnant Salâch Abdalnabi war anders als die Offiziere, von denen es in Ägypten nur so wimmelte. Solche, die jeden schikanierten, demütigten, folterten oder totschlugen, der es wagte, ihren politischen, wirtschaftlichen oder finanziellen Interessen im Wege zu stehen. Als hochrangiger Offizier erfreute Salâch sich einer breiten Allgemeinbildung. Er kannte seine Befugnisse und war sich über seine Rolle an der Universität im Klaren. Er wusste, dass Informationen das A und O für die Sicherheit sind, wie präzise sie sein müssen, wie sie zu beschaffen, einzuschätzen und auszuwerten sind. In diesem Kontext war es von essentieller Bedeutung, alle verfügbaren Informationen über Dozenten zu sammeln, die nicht mit den Sicherheitsorganen kooperierten, um jederzeit, wenn es aus irgendeinem Grund erforderlich seinsollte, etwas aus der Schublade ziehen und den Betreffenden zugrunde richten zu können. Zu seinen Aufgaben gehörte es ausserdem, neue Studenten anzuwerben, was kein schwieriges Unterfangen war, denn die meisten boten ihre Dienste aus freien Stücken an.
Etwa einen Monat nachdem er den Führerschein wiederbeschafft hatte, suchte er, wie immer lächelnd, Doktor Murtada in seinem Büro auf.
»Sie haben ja noch immer keinen neuen Personalausweis. Das geht nicht, Herr Professor, demnächst werden die alten Ausweise nämlich alle für ungültig erklärt. Gestatten Sie mir, die Sache für Sie zu erledigen.«
Oberstleutnant Salâch Abdalnabi hatte bereits gewusst, bevor er die Arbeit an der Fakultät antrat, dass sich Murtada nie auf eine Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsapparat einlassen würde und sich aus allem heraushielt. Trotzdem konnte er seinen Groll gegen ihn nicht bändigen, obwohl er nicht einmal wusste, warum er so empfand.
»Ich habe da eine Sache auf dem Herzen, Herr Professor. Ich schätze und respektiere Sie, und deshalb möchte ich mit Ihnen über eine gewisse Angelegenheit sprechen.«
»Bitte.«
»Beim Dekan, beim Prodekan und bei mir sind schriftliche Beschwerden von mehreren Studenten über Sie eingegangen. Sie sollen kürzlich in einer Vorlesung zum Thema Sprache das zwanzigste Jahrhundert als Zeitalter der Sprachphilosophie bezeichnet haben. Sie hätten wörtlich gesagt, ich zitiere: ›Wie können wir uns mit der Welt auseinandersetzen, die wir mittels Sprache erfassen, wenn wir uns nicht mit der Sprache selbst auseinandersetzen?‹ Anschliessendhätten Sie auf geradezu darwinsche Weise über eine Evolution der Sprache referiert. Die Studenten sind irritiert und fragen sich, warum Sie in Ihrem Vortrag über ein so wichtiges Thema mit keinem Wort den Koran erwähnten.«
»Ich verstehe nicht. Was ist das Problem?«
»Die Studenten sind aufgebracht, schliesslich ist die Sprache, wie Sie ja wissen, ein Geschenk, eine Eingebung Gottes, gepriesen sei Er. Warum sollte Ihrer Meinung nach denn sonst der heilige Vers ›Nun lehrte er den Adam alle Namen der Geschöpfe‹ 25 offenbart worden sein? In den Beschwerden heisst es ausserdem, dass Sie freitags, Gott bewahre, nicht beten würden, denn immerhin empfingen Sie Studenten am Freitagmorgen zur Sprechstunde bei sich zu Hause.«
Doktor Murtadas Gesichtsmuskeln verkrampften sich, dicke blaue Striemen zeichneten sich auf seiner breiten Stirn ab.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das ist bloss eine nette Plauderei. Ich will Sie nur freundschaftlich über die Beschwerden in Kenntnis setzen, die eingegangen sind. Das geht im Übrigen schon einige Jahre so. Nur diesmal haben die Studenten es ein wenig übertrieben, sie haben Ihre Vorlesung mitgeschnitten und die betreffenden Passagen auf eine CD gebrannt.«
»Ich werde mich nicht in die Defensive drängen lassen.«
»Jetzt
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