Arche Noah | Roman aus Ägypten
einen Joint.
»Ich sage dir, was das Problem ist«, erklärte Salâch Abdalnabi nach einer Weile. »Das Schlimme ist, dass wir heutzutage vom wahren Terror richtiggehend umzingelt werden. Der Terror bedroht die Ordnung und die Werte im Land. Dieser Doktor Murtada mit seinen Philosophievorlesungen und den gefährlichen Ansichten, die er vor den Studenten vom Stapel lässt, stellt eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar. Und unsere Aufgabe ist es, solchen Leuten das Handwerk zu legen.«
A ls ich am Morgen erwachte, lag Murtada nicht neben mir – zum ersten Mal, seit wir verheiratet waren. Ich hörte seine Stimmeaus der Küche. Er konnte es offenbar kaum erwarten, bis wir endlich in die British-Airways-Maschine nach Kairo stiegen. Auch ich war sehr aufgeregt, genau sieben Tage und fünf Stunden waren es noch bis zum Abflug.
Es war das erste Mal, dass ich in ein aussereuropäisches Land reiste. Deshalb sass ich viel in der Bibliothek und las Bücher über Ägypten und die arabische Welt. Ahmose, Thutmosis III. und Sethos I. waren mir sympathisch. Mit Echnaton und Ramses II. konnte ich mich aber überhaupt nicht anfreunden, einer schlimmer als der andere. Der Erste wollte alle Götter in einem vereinen, und zwar in seinem. Und Letzterer wollte alle Könige in einem König vereinen, und zwar in der eigenen Person. Wie dumm und kurzsichtig! Murtada fand das seltsam, aber so ist das nun mal, die Interessen des Menschen werden von seinen Gefühlen bestimmt. Bald wusste ich über die altägyptische Kultur mehr als er. Mich wunderte, dass er Karnak, eine der bedeutendsten Tempelanlagen der Welt, noch nie besichtigt hatte. Was mir Sorgen bereitete, waren Hitze und Insekten. Murtada war auch nervös, er dachte immerzu darüber nach, was sich in den letzten zwei Jahren wohl verändert haben könnte. Ausserdem ging es seinem Vater gesundheitlich schlecht, wie er von seinem Cousin Jassîn wusste. Murtada war seit zwei Tagen damit beschäftigt, alle Personen aufzulisten, die er zu unserem zweiten Hochzeitsfest in seinem Dorf einladen wollte. Auch Farîd hatte er eingeladen, um ihn auf diese Weise zu einem Ägypten-Besuch zu bewegen. Dieser hatte versprochen, es zu versuchen.
Einige Tage danach traf ich in der Bibliothek meine Freundin Melanie, die Psychologieassistentin. Ich erzählte ihr von unserer Einladung. Farîd werde ihr wohl kaum folgen, sagte sie und erzählte mir eine schreckliche Geschichte. Kurz vor seiner Abreisehabe er seine Mutter mit einem fremden Mann in ein anderes Haus gehen sehen. Er habe kurz die Lage beobachtet, und dann sei klar gewesen, dass die Mutter seinen Vater und die ganze Familie betrog. Seither sehe Farîd in jedem Ägypter einen potentiellen Liebhaber der Mutter. Deshalb könne er, wiederholte Melanie seine Worte, auf keinen Fall mehr nach Ägypten reisen. Armer Kerl!
Für eine wunderbare Überraschung sorgte Richard. Er beschloss, uns auf der Reise zu begleiten. Ich freute mich riesig, denn beim ersten Besuch in Murtadas Land brauchte ich meinen Bruder dringend bei mir.
A m Tag vor der Abreise verlängerte die Universität Doktor Murtadas Lehrauftrag um zwei Jahre. In den vergangenen Wochen hatte er aus Sorge, keine Verlängerung zu bekommen, schreckliche Zustände durchlebt. Davon hatte er Deborah jedoch nichts erzählt. Und sie, voll und ganz mit den Reisevorbereitungen beschäftigt, hatte nicht gemerkt, dass es ihm zunehmend schlechtergegangen war.
Am letzten Abend trafen sie sich mit Deborahs Familie. Nachdem auch endlich Richard eingetroffen war, liess sie die Bombe platzen: »Ich war am Nachmittag beim Arzt. Er hat bestätigt, dass ich schwanger bin.«
Richard kamen vor Freude die Tränen, Murtada war sprachlos, und Deborahs Mutter stiess einen Schrei aus. Der Vater nahm die Nachricht so auf, wie es sich für einen Briten gehörte: Er lächelte kaum sichtbar und zündete sich eine Zigarette an. Deborah fiel ihrem Mann um den Hals. Lachend und weinend zugleich, küsste sie ihn stürmisch.
Sonderbarerweise dachte Murtada in dem Moment nicht an das Kind, nicht an Deborah, nicht einmal an sich selbst,sondern an seinen Vater. Er überlegte, ob er mit der frohen Botschaft noch bis zum nächsten Tag warten oder ihn sofort anrufen sollte. Er hatte Angst, dass das Schicksal den Vater nicht bis zum nächsten Tag verschonen würde. Am Ende aber beschloss er, ihm die Nachricht von Angesicht zu Angesicht zu überbringen, und wünschte sich im Stillen von Gott einen Sohn –
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