Arche Noah | Roman aus Ägypten
in guter Absicht gehandelt hatte. Er wollte mich nicht belasten mit irgend so einem Pseudoprojekt, das er wieder mal am Laufen hatte, er war besorgt um mich – aus Erfahrung. Er hatte Angst, dass ich zerbrechen oder mich eines Tages noch in Luft auflösen würde. Als ich ihn das letzte Mal besuchte, bemerkte ich in seinen Augen einen panischen Ausdruck, kaum dass er mich auf dem Flughafen erblickte. Verständlich, ich erkenne mich im Spiegel ja selbst nicht wieder. Trotzdem hätte er mir diese Peinlichkeit ersparen können.
Das geht doch auf keine Kuhhaut, Talaat! Muss ich mich von der Frau, die die Ente zubereitet, darüber aufklären lassen, inwelchem Land mein Mann gerade hockt? Aber muss man nicht auch hin und wieder lügen, um seine Mitmenschen zu schonen? Ganz bestimmt, Ehrlichkeit ist nämlich manchmal scharf wie ein Messer.
Noch am selben Tag habe ich Talaat eine SMS geschickt: »Ich weiss, dass du seit einer Weile in Kuwait bist.« Abdallatîfs Mutter habe ich mit keinem Wort erwähnt, damit er dem armen Kerl keinen Ärger macht. Na ja, auch ich habe eben meine Geheimnisse. Himmelherrgott! Ich weiss wirklich nicht mehr, was richtig und was falsch ist.
Schwamm drüber, die Welt ist einfach verdorben.
T alaat schlug die noch immer schweren Lider auf, nachdem er nachts Unmengen von Wein in sich hineingeschüttet hatte. Der Schädel dröhnte ihm. Er schaltete das Handy ein – sechzehn Uhr bereits, stellte er fest, innerlich noch ganz aufgewühlt. So viele Prostituierte wie in der letzten Nacht hatte er nie zuvor gesehen, am liebsten hätte er Herrn Guinness angerufen, um ihm einen neuen Rekord zu melden. Nachdem sie gegangen waren, hatte er glatt vergessen zu masturbieren, wie er es sonst immer tat. Ausserdem hatte er am Vortag seine obligatorischen zwei Stunden Fitnesstrainig ausfallen lassen, um einen kuwaitischen Importeur zu treffen, mit dem sich ein Geschäft anzubahnen schien.
Die zwei Kurzmitteilungen, die er auf seinem Handy entdeckte, liessen seine Erregung und seine Kopfschmerzen auf der Stelle verfliegen. Die erste SMS war abstrus. Sein ehemaliger Kompagnon Anwar sei verhaftet worden, weil er eine Minderjährige als Dienstmädchen zwangsbeschäftigthaben soll. Seine Frau bat um Hilfe, Talaat solle umgehend einen seiner Anwaltsfreunde einschalten. Die zweite SMS stammte von seiner eigenen Frau. Hind war empört, weil er ihr nichts von seinem Umzug nach Kuwait gesagt hatte.
Er rief Abdallatîf zu sich und nahm ihn in die Mangel. Es stellte sich heraus, dass er den Ärger verursacht hatte. Erbost jagte ihn Talaat aus dem Schlafzimmer. Wenige Minuten später rief er ihn zurück, versöhnte sich mit ihm und bat ihn, Essen zu machen, gebratene Eier mit Pastrami. Talaat warf sich in den wuchtigen Sessel, den er zwei Tage zuvor von einem indischen Händler gekauft hatte, und schaute aus dem Fenster neben dem Bett. Da erschien ihm plötzlich das Gesicht seiner Frau. Eingehend betrachtete er es, die dichten schwarzen Brauen, die strahlend weisse Haut. Er verlor sich in ihren Augen und fing an zu weinen. Wie ein Wasserfall brach es unvermittelt aus ihm heraus. Als berge er sämtliche Meere in sich, liefen ihm nur so die Tränen. Er war übermannt von tiefer Traurigkeit und dem Gefühl, verraten und verkauft worden zu sein. Würde man ihm die Welt in die rechte und Hind in die linke Hand legen, dann würde ohne Frage die linke schwerer wiegen. Die Welt war hart, böse und ungerecht. Da musste wenigstens er fair bleiben und durfte Hinds Güte nicht mit Undank vergelten. Unendlichen Grossmut hatte sie bewiesen. Wie konnte er sie nur derart verletzen? Ach, hätte er jetzt nur einen fliegenden Teppich, er würde sich sofort aufschwingen, ihr die Füsse küssen und sie um Vergebung bitten. Während er sich Aladins Wunderlampe herbeiwünschte, kam Abdallatîf mit dem Essen herein. Talaat machte sich über Eier und Pastrami her, schmeckte aber nichts als seine Tränen.
Danach rief er Hind an. Er ertrinke in einem indischen Sessel, der so rot sei wie Gazellenblut, sagte er. Beide brachen in Tränen aus. Nachdem sie aufgelegt hatte, sass er noch eine ganze Stunde schweigend da.
Als er wieder zu sich gekommen war, fiel ihm ein, dass er noch Anwars Frau anrufen musste. Sainab brach ebenfalls in Tränen aus, so dass Talaat glaubte, ein Tsunami rolle heran.
» E twas Schreckliches ist passiert, Talaat, du musst uns helfen! Ich komme gerade vom Anwalt, einem gewissen David. Der Fall ist aussichtslos, sagt er.
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