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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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Anwar muss für längere Zeit ins Gefängnis, man hat ihn verhaftet. Ich weiss nicht, was ich machen soll. Ach, Hagg, Gott sei deiner Seele gnädig, wärst du noch am Leben, dann wäre es niemals so weit gekommen. Aber das Schicksal will es offenbar so. Wir haben es noch rechtzeitig aus Ägypten herausgeschafft, und jetzt wird er hier verhaftet! O Gott, was für ein Desaster! Und an allem ist dieses Miststück schuld, ich bringe sie um! Dabei haben wir sie aus diesem armseligen Kaff Kûm Hamâda gerettet. Mickrig wie ein Wurm und völlig abgemagert war sie. Und jetzt, da sie sich bei uns ordentlich durchgefressen hat, spielt sie sich auf. Mieses ägyptisches Dreckstück!
    Wir haben sie in die USA mitgenommen. Dank uns spricht sie jetzt so gut Englisch wie die Amerikaner. Jane nennt sie sich. Stell dir vor, nach allem, was wir für sie getan haben, fällt sie uns in den Rücken und verspritzt ihr Gift, diese hinterhältige Natter! Lacht die sich doch so einen Kerl vom Pizzaservice an. Ein Säufer ist der und obendrein auf Drogen. Und wir hatten von all dem nicht den leisestenSchimmer. Keine Ahnung, was dieses Flittchen abzieht. Um uns loszuwerden, hat sie sich mit dem Kerl und seinem Vater verbündet. Sie sind zusammen zur Polizei gegangen, dann wurde Anwar verhört, und jetzt sitzt er hinter Gittern. Was soll ich nur machen, Talaat? Ich weiss nicht mehr weiter.«
    A n Gannât konnte sich Talaat noch sehr genau erinnern. Sie hatte einen überaus intelligenten Blick, das war ihm in Santa Cruz gleich aufgefallen, als sie ihm den Tee aufs Zimmer brachte. Sie war neun oder zehn Jahre alt. »Bitte, der Tee, Herr Talaat«, hatte sie gesagt. Die Stimme passte nicht zu ihr, sie klang viel älter. Ausserdem hatte sie ein unglaubliches Strahlen in den Augen. Jetzt war sie erwachsen und sprach von Kinderrechten und Arbeitsgesetzen. Ach, Gannât, warum bedienst du dich nicht auch dieser Sprache, wenn es um unsere Rechte geht? Schliesslich sind wir allesamt die Sklaven deiner vermeintlichen Freunde! Ohne Anwars Schutz bist du dem Dschungel der amerikanischen Rücksichtslosigkeit ausgeliefert. Irgendwann wirst du den Schritt bereuen, aber dann ist es zu spät. In der amerikanischen Maschinerie wird dir deine Intelligenz nichts nützen, denn das Getriebe wird dich ausquetschen und zermalmen, bis das letzte Fünkchen Wärme in dir erkaltet ist.
    Talaat setzte sich an den Computer und verfasste E-Mails an seine Anwaltsfreunde. Bei der Gelegenheit schrieb er auch gleich an alle Dozenten und Professoren in seinem Bekanntenkreis, um Informationen einzuholen, die für Sylvia von Nutzen wären, und verpasste so schon den zweiten Tag in Folge sein Fitnesstraining. Er beschloss, zu Hause zu bleiben und sich Tîfas Gesangsstunde anzuhören. Ausserdemwollte er Emil bitten, auf der Ud das Lied In deinen Armen zu spielen, und Tîfa sollte dazu singen, denn Talaat verging buchstäblich vor Sehnsucht. Er hatte den unbändigen Wunsch, seine ferne Heimat beim Klang der Laute jenes palästinensisch-jordanisch-kuwaitischen Musikers in die Arme zu schliessen, dem ebenfalls die ewige Fremde vorherbestimmt war.
    I n deinen Armen, in deinen Armen,
    geliebte Heimat, in deinen Armen
    finden sich all deine Kinder ein.
    Es leben hoch die Feste dein.
    Fern von dir fühlt jeder sich allein,
    sehnt sich zurück nach deinen Armen.
    Tîfa bekam seit etwa einem Monat Gesangsunterricht, als Schaukat Thâir bei Talaat anrief und vorschlug, sich zu einem geselligen Abend in der Diwanîja ihres Kompagnons Achmad zu treffen und Abdallatîf für die musikalische Unterhaltung zu engagieren. Er bereitete sich intensiv auf den Auftritt vor. Obwohl er schon oft bei solchen Anlässen gesungen hatte, war dieses Ereignis für ihn von besonderer Bedeutung, denn zum ersten Mal trat er ausschliesslich als Sänger auf. Es war ein erhebendes Gefühl. Allerdings geriet ihm vor Aufregung der Atem aus dem Takt. Sein Gehirn hatte grosse Mühe, die Lungentätigkeit zu steuern. Als habe er gerade erst das Medium Luft kennengelernt, konzentrierte er sich voll und ganz auf das Ein- und Ausatmen. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr wie Hansdampf in allen Gassen, sondern wie Hansdampf im Nichts.
    Während er, fein gekleidet, vor dem Haus auf Talaat wartete und den Blick über den Arabischen Golf schweifen liess, versuchte er, sich zu beruhigen, vergebens. Das gelang ihm erst später: Als Nabri ihn in der Diwanîja so aufgewühlt sah, verschwand er in die Küche und brachte ihm kurz darauf

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