Arche Noah, Touristenklasse
BEDEUTENDE MALER: Ich bin selbst Maler.
DER LADENINHABER: Der Bub ist auch in Arithmetik sehr gut.
DER BEDEUTENDE MALER: Ich bin der berühmte Maler Bar Honig.
DER LADENINHABER: Mit der Grammatik tut er sich ein bißchen schwer. Na, ich frage Sie: ist Grammatik gar so wichtig?
DER BEDEUTENDE MALER: Jizchak Bar Honig, der große Maler! Ich bin der weltberühmte Jizchak Bar Honig!!
DER LADENINHABER: Sogar die Lehrer machen manchmal grammatikalische Fehler - aber - was ist mit Ihnen? Sind Sie verrückt? Lassen Sie sofort meine Kehle los ... Hilfe ... Mörder ...!
DER BEDEUTENDE MALER: Bar Honig! Der große Maler! Ich bin der weltberühmte Bar Honig! Ich! Jizchak Bar Honig!
DER LADENINHABER: Moment, Moment - sagten Sie Bar Honig?
DER BEDEUTENDE MALER: Ja. Der bin ich.
DER LADENINHABER: Ausgeschlossen.
DER BEDEUTENDE MALER: Ich schwöre.
DER LADENINHABER: Nein, diese Freude! Ist es die Möglichkeit?
DER BEDEUTENDE MALER: Fassen Sie sich, guter Freund. Vor Ihnen steht Jizchak Bar Honig persönlich.
DER LADENINHABER: Wenn ich das gewußt hätte ... nein, wirklich ... darf ich Sie küssen?
DER BEDEUTENDE MALER: Nur zu.
DER LADENINHABER: Es ist kaum zu glauben! Und in meinem Geschäft! Sie sind doch verwandt mit Getzl Bar Honig aus Czernowitz? Dem Bürstenhändler?
DER BEDEUTENDE MALER: Ein Cousin von mir. Warum?
DER LADENINHABER: Ich bin mit Getzl in die Schule gegangen.
Er war mein bester Freund. So eine Überraschung. Entschuldigen Sie, daß ich Sie wie eine gewöhnliche Kundschaft behandelt habe! Wählen Sie, was Ihnen gefällt ... der ganze Laden gehört Ihnen ... Dwascha! Dwascha! Weißt du, wer da ist? Getzls Cousin!
DWASCHA: (eilt mit ausgebreiteten Armen herbei.)
Gegen Künstler gibt es keine wirksame Gegenwehr. Auch ihren Schöpfungen kann man nicht entgehen. Mit Recht heißt es darum in den Zehn Geboten: >Du sollst dir kein Bildnis machen! < Was fehlt, ist ein ausdrückliches Gebot gegen das Schenken bereits gemachter Bildnisse.
ONKEL MORRIS UND DAS KOLOSSALGEMÄLDE
Der Tag begann wie jeder andere Tag. Im Wetterbericht hieß es »wechselnd wolkig bis heiter«, die See war ruhig, alles sah ganz normal aus. Aber zu Mittag hielt plötzlich ein Lastwagen vor unserem Haus. Ihm entstieg Morris, ein angeheirateter Onkel meiner Gattin mütterlicherseits.
»Ihr seid übersiedelt, höre ich«, sagte Onkel Morris. »Ich habe euch ein Ölgemälde für die neue Wohnung mitgebracht.«
Und auf einen Wink seiner freigebigen Hand brachten zwei stämmige Träger das Geschenk angeschleppt.
Wir waren tief bewegt. Onkel Morris ist der Stolz der Familie meiner Frau, ein sagenhaft vermögender Mann von großem Einfluß in einflußreichen Kreisen. Gewiß, sein Geschenk kam ein wenig spät, aber schon die bloße Tatsache seines Besuchs war eine Ehre, die man richtig einschätzen mußte.
Das Gemälde bedeckte ein Areal von vier Quadratmetern, einschließlich des gotisch-barocken Goldrahmens, und stellte das jüdische Gesamterbe dar. Rechts vorne erhob sich ein kleines »Städtel«. Es lag teils in der Diaspora, teils in einem Albtraum, und war von vielem Wasser und vielem sehr blauen Himmel umgeben. Zuoberst prangte die Sonne in natürlicher
Größe, zuunterst weideten Kühe und Ziegen. Auf einem schmalen Fußpfad wandelte ein Rabbi mit zwei Torarollen; ihm folgte eine Anzahl von Talmudschülern, darunter einige Wunderkinder, sowie ein Knabe kurz vor Erreichung des dreizehnten Lebensjahrs, der sich für seine Bar-Mizwah vorbereitete. Im Hintergrund sah man eine Windmühle, eine Gruppe von Geigern, den Mond, eine Hochzeit und einige arbeitende Mütter, die im Fluß ihre Wäsche wuschen.
Auf der linken Seite öffnete sich die hohe See, komplett mit Segelbooten und Fischernetzen. Aus der Ferne grüßten Vögel und die Küste Amerikas.
Noch nie in unserem ganzen Leben hatten wir ein derartiges Konzentrat von Scheußlichkeit erblickt, obendrein in quadratischem Format, in neoprimitivem Stil und in Technicolor.
»Wahrhaft atembeklemmend, Onkel Morris«, sagten wir.
»Aber das ist ein viel zu nobles Geschenk für uns. Das können wir nicht behalten!«
»Macht keine Geschichten«, begütigte Onkel Morris. »Ich bin ein alter Mann und kann meine Sammlung nicht mit ins Grab nehmen.«
Als Onkel Morris, der Stolz der Familie meiner Frau, gegangen war, saßen wir lange vor dem in Öl geronnenen Schrecknis und schwiegen. Die ganze Tragik des jüdischen Volkes begann uns aufzudämmern. Es war, als
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