Arche Noah, Touristenklasse
als wir dann noch das Scheinwerferlicht einschalteten, durften wir uns sagen, daß kein Grauen jemals diesem hier gleichkäme.
Pünktlich um fünf Uhr nachmittags ging die Türglocke. Während meine Frau sich anschickte, Onkel Morris liebevoll zu empfangen, richtete ich zur Steigerung des Effekts den einen Scheinwerfer auf die weidenden Ziegen und den andern auf die waschenden Mütter. Dann öffnete sich die Tür. Dr. Perlmutter, einer der wichtigsten Männer im Ministerium für Kultur und Erziehungswesen, trat mit seiner Gattin ein.
Dr. Perlmutter gehört zur geistigen Elite unseres Landes. Sein verfeinerter Geschmack ist in intellektuellen Kreisen geradezu sprichwörtlich. Seine Gattin leitet eine repräsentative Galerie.
Und diese beiden kamen jetzt herein.
Einige Sekunden lang schien die Zeit stillzustehen. Dann sah es aus, als wollte Dr. Perlmutter in Ohnmacht fallen. Dann unternahm ich, mit dem Rücken zum Öl, eine lahme Rettungsaktion und verdeckte wenigstens die weidenden Ziegen.
Dann sagte jemand in meiner Kehle: »Was für eine freudige Überraschung. Bitte nehmen Sie Platz.«
Dr. Perlmutter, immer noch leise schwankend, hatte seine Brille abgenommen und rieb hartnäckig an den Gläsern.
Die verdammten Blumen. Wenn wenigstens diese verdammten Blumen auf dem gotisch-barocken Goldrahmen nicht wären.
»Eine sehr hübsche Wohnung haben Sie«, murmelte Frau Dr. Perlmutter. »Und so hübsche ... hm ... Gemälde.«
Ich fühlte ganz deutlich, wie die Talmudschüler in meinem Rücken chassidische Tänze aufführten. Im übrigen vergingen die nächsten Minuten in angespannter Reglosigkeit. Die Augen unserer Gäste waren starr auf DAS DING gerichtet.
Schließlich gelang es meiner tapferen Frau, den einen der beiden Scheinwerfer abzuschalten, aber von den Schultern des Rabbiners abwärts blieb die Szenerie in gleißendes Licht getaucht. Dr. Perlmutter klagte über Kopfschmerzen und verlangte ein Glas Wasser. Als meine tapfere Frau mit dem Glas Wasser aus der Küche zurückkam, schmuggelte sie mir einen kleinen Zettel mit einer illegalen Nachricht zu. Der Text lautete: »Ephraim, mach was!«
»Entschuldigen Sie, daß wir so plötzlich bei Ihnen eindringen«, sagte Frau Dr. Perlmutter mit belegter Stimme. »Aber mein Mann wollte mit Ihnen über eine Vortragsreise nach Amerika sprechen.«
»Ja?« jauchzte ich. »Wann?«
»Keine Eile«, sagte Dr. Perlmutter und erhob sich. »Die Angelegenheit ist nicht mehr so dringend.«
Es war klar, daß ich jetzt endlich mit einer Erklärung herausrücken mußte, sonst wären wir aus dem Kreis der zivilisierten Menschheit für immer ausgestoßen. Meine kleine tapfere Frau kam mir zu Hilfe:
»Sie wundern sich wahrscheinlich, wie dieses Bild hergekommen ist?« wisperte sie.
Beide Perlmutters, schon an der Türe, wandten sich um:
»Ja«, sagten sie beide.
In diesem Augenblick kam, mit genauer Berechnung, Onkel Morris. Wir stellten ihn unseren Gästen vor und merkten mit Freude, daß sie Gefallen an ihm fanden.
»Sie wollten uns etwas über dieses ... hm ... über dieses Ding erzählen«, mahnte Frau Dr. Perlmutter meine kleine tapfere Frau.
»Ephraim«, sagte meine kleine tapfere Frau. »Ephraim. Bitte.«
Ich ließ meinen Blick in die Runde wandern - vom verzweifelten Antlitz meiner Gattin und den versteinerten Perlmutter-Gesichtern - über die Wunderkinder im Schatten der Windmühle - bis zum stolzgeschwellt strahlenden Onkel Morris.
»Es ist ein sehr schönes Bild«, brachte ich krächzend hervor.
»Es hat Atmosphäre . einen meisterhaften Pinselstrich . und Sonne ... sehr viel Sonne ... Wir haben es von unserem Onkel hier geschenkt bekommen.«
»Sie sind Sammler?« fragte Frau Dr. Perlmutter. »Sie sammeln -«
»Nein, solche Sachen nicht«, unterbrach Onkel Morris und lächelte abwehrend. »Aber die Jugend von heute - seid nicht bös, Kinder, wenn ich offen bin - die völlig geschmacklose Jugend von heute bevorzugt diese monströsen Potpourris.«
»Nicht unbedingt«, sagte ich mit einer Stimme, deren plötzliche Härte und Entschlossenheit mich selbst ein wenig überraschte. Aber jetzt gab es kein Halten mehr. Schon blitzte die Schere in meinen Händen. »Wir haben auch für Bilder kleineren Formats etwas übrig.«
Damit hatte ich die Schere am linken Flußufer angesetzt.
Dieses, drei Kühe und ein Stückchen Himmel waren ihr erstes Opfer. Als nächstes schnitt ich den Kahn und die zwei Geiger aus. Dann die Windmühle. Dann ging es durcheinander.
Die
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