Arche Noah, Touristenklasse
einem höchst peinlichen Zwischenfall.
Tola'at Shani betrat das Cafe, und sein Blick fiel genau in der gleichen Sekunde auf die Küchentür, als ich hinausschlüpfte. Ich entsinne mich noch ganz genau, daß ich an diesem Tag den festen Entschluß faßte, das Buch sehr sorgfältig zu durchblättern, wenn ich nach Hause käme. Irre ich nicht, so hatte ich sogar schon die Hand danach ausgestreckt.
Aber gerade da ging das Telephon, oder es läutete an der Tür, oder es geschah sonst etwas - jedenfalls kam meine Hand nicht bis an das Buch heran. Und dabei blieb es.
Vor ein paar Tagen, als ich mich um Kinokarten anstellte, fühlte ich mich plötzlich am Arm gepackt. Es war Tola'at Shani, und es gab kein Entrinnen.
»Haben Sie das Buch schon ausgelesen?« fragte er mich.
Ich nickte mehrmals und ernsthaft:
»Wir müssen uns ausführlich darüber unterhalten. Ich habe Ihnen eine ganze Menge zu sagen. Aber hier - in dieser Schlange - auf einem Bein -«
Ich hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als an der Kassa die Tafel »Ausverkauft« hochging. Mein Schicksal war besiegelt.
Nur ein plötzlich herabstoßender Steinadler hätte mich retten können, und in Tel Aviv gibt es leider keine Steinadler.
Hingegen gibt es sehr viele Kaffeehäuser, so viele, daß man in einem von ihnen mit größter Wahrscheinlichkeit einen Tisch für zwei Personen findet. Tola'at Shani, der meinen Arm noch immer nicht losgelassen hatte, fand einen Tisch für zwei Personen. Und jetzt saßen wir einander gegenüber.
»Also«, sagte Tola'at Shani. »Sie wollten mit mir über mein Buch sprechen.«
»Ja«, sagte ich. »Ich bin froh, daß ich Sie endlich getroffen habe.«
Irgendwie erinnerte mich die Situation an den dramatischen Höhepunkt mancher Wildwestfilme, wenn Sheriff und Schurke im Saloon der menschenleeren Hauptstraße zusammenstoßen und die endgültige Abrechnung sich nicht mehr aufhalten läßt. Auch die Dizengoff-Straße schien plötzlich menschenleer. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals so entvölkert gesehen zu haben. Kein einziges bekanntes Gesicht wollte auftauchen.
Verzweifelt suchte ich mir das Buch ins Gedächtnis zu rufen, aber vor meinem geistigen Auge erschien immer nur die braune Packpapierhülle, die ich noch nicht entfernt hatte.
Wenn ich wenigstens wüßte, um was für eine Art von Buch es sich handelte! War es ein Roman? Eine Sammlung von Kurzgeschichten? Von Gedichten? Ein Theaterstück? Ein Essayband?
Die bleierne Stille drohte mir den Atem abzuschnüren. Ich mußte etwas sagen:
»Etwas muß ich sagen«, sagte ich. »Sie haben enorme Arbeit an dieses Buch gewendet.«
»Drei Jahre«, nickte Tola'at Shani. »Aber das Thema habe ich noch viel länger mit mir herumgetragen.«
»Das spürt man sofort. Es ist ein reifes Werk.«
Stille. Bleierne Stille. Und keine Rettung. Freunde in der Not? Daß ich nicht lache.
»Sagen Sie mir jetzt bitte Ihre Meinung«, forderte mich der vielversprechende junge Autor mit vor Erwartung bebender Stimme auf.
»Ich bin sehr beeindruckt.«
»Von allem, was drinsteht?«
Im letzten Augenblick entging ich der Falle. Tola'at Shani beobachtete mich scharf aus den Augenwinkeln. Hätte ich jetzt geantwortet: »Ja, von allem« - er hätte sofort gewußt, daß ich das Buch nicht gelesen habe.
»Ich will ganz offen sein«, sagte ich. »Den Anfang finde ich nicht gerade überwältigend.«
»Auch Sie?« Tola'at Shani seufzte resigniert. »Das hätte ich nicht gedacht. Ein erfahrener Schriftsteller wie Sie müßte doch wissen, daß jedes Buch eine Exposition braucht.«
»Exposition, Schmexposition«, gab ich ein wenig unbeherrscht zurück. »Die Frage ist, ob man von einem Buch sofort gefesselt wird oder nicht.«
Tola'at Shani senkte den Kopf und sah so traurig drein, daß er mir leid tat. Aber warum schreibt er auch so langweilige Expositionen.
»Später kommt die Sache in Schwung«, tröstete ich ihn. »Ihre Figuren sind sehr gut gezeichnet. Und die Geschichte hat Atmosphäre. Und Rhythmus.«
»Sind Sie auch der Meinung, ich hätte die rein beschreibenden Teile des Buches um die Hälfte kürzen sollen?«
»Wenn Sie das getan hätten, wäre es ein Bestseller geworden.«
»Möglich«, sagte Tola'at Shani frostig. »Aber mir war es wichtiger, ganz genau zu erklären, warum Boris sich den Rebellen anschließt.«
Boris!!
»Boris ist allerdings ein Charakter, den man nicht so bald vergessen wird«, mußte ich zugeben. »Man merkt, daß ihm Ihre ganze Liebe gilt.«
Aus schreckhaft
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