Archer Jeffrey
Ritz. Die prachtvolle Suite mit Blick auf den St. James Park, die er dort bewohnte, stand während seiner Abwesenheit leer. Die Chronik schweigt darüber, ob die Zimmer deshalb nicht weitervermietet werden durften, weil Henry die Vorstellung nicht ertrug, fremde Leute könnten in seiner Marmorbadewanne umherplanschen, oder ob ihm ganz einfach nicht zuzumuten gewesen wäre, zweimal jährlich die Mühe der An- und Abmeldeformalitäten auf sich zu nehmen. Die Hotelverwaltung des Ritz hatte diese Eigenheit schon bei seinem Vater schweigend toleriert, warum also hätte sie es bei dessen Sohn anders halten sollen? Dieses Programm, das Henrys Leben völlig ausfüllte, wurde nur ab und zu durch eine gelegentliche Reise nach Paris unterbrochen, wenn eine seiner kleinen Freundinnen dem Traualtar ein wenig zu nahe kam. Fast jedes Mädchen, das Henry kennenlernte, träumte davon ihn zu heiraten, und viele von ihnen hätten es selbst dann getan, wenn er arm wie eine Kirchenmaus gewesen wäre. Henry jedoch sah absolut keine Veranlassung, einer Frau die Treue zu halten. „Ich habe Dutzende Pferde und Dutzende Freunde“, pflegte er auf diesbezügliche Fragen zu antworten, „warum also sollte ich mich auf eine einzige Frau beschränken?“ Die Logik dieser Erklärung schien tatsächlich schwer widerlegbar zu sein.
Zu Henrys Geschichte wäre nichts weiter hinzuzufügen, hätte er sein Leben in den vom Schicksal vorherbestimmten Bahnen fortgeführt; doch selbst den Henrys dieser Welt bleiben unliebsame Überraschungen manchmal nicht erspart.
Im Lauf der Jahre war es Henry zur Gewohnheit geworden, niemals etwas im voraus zu planen, da alle seine bisherigen Erfahrungen – ebenso wie sein tüchtiger Diener Barker – ihn in dem Glauben bestärkt hatten, daß man sich als reicher Mann jeden Wunsch von einer Minute zur anderen erfüllen könne und alles übrige sich im nachhinein regeln lasse. Gegen die Auswirkungen von Chamberlains Erklärung vom 3. September 1939, Großbritannien sei in den Krieg gegen Deutschland eingetreten, vermochte jedoch nicht einmal Barker die nötige Vorsorge zu treffen. Henry fand es äußerst rücksichtslos von Chamberlain, unmittelbar vor Wimbledon und der Hauptrennsaison eine Kriegserklärung abzugeben, und noch rücksichtsloser, fand er, benahm sich das Ministerium für Inneres, als es ihm einige Monate später mitteilte, Barker habe seinen Dienst beim Pascha zu quittieren und bis auf weiteres in den Dienst Seiner Majestät des Königs zu treten.
Was sollte der arme Henry tun? Er war inzwischen vierzig und nicht gewöhnt, anderswo als im Ritz zu wohnen, doch die Deutschen, deretwegen Wimbledon hatte abgesagt werden müssen, hatten bereits das „George V“ in Paris und das „Negresco“ in Nizza besetzt. Als die Wochen vergingen und als die Wahrscheinlichkeit einer Invasion täglich größer wurde, gelangte Henry schließlich zu dem wenig erfreulichen Schluß, daß ihm wohl nichts anderes übrig bleiben werde, als sich so lange in das neutrale Kairo zurück zuziehen, bis die Briten den Krieg siegreich beendet hätten. Nicht einen Augenblick kam es ihm in den Sinn, daß sie ihn auch verlieren könnten. Sie hatten schon im Ersten Weltkrieg gesiegt und würden es des halb auch im Zweiten tun. Denn daß die Geschichte sich immer wiederholt, war so ziemlich die einzige Weisheit, die sich seinem Gedächtnis im Verlauf seines dreijährigen Studiums in Oxford unauslöschlich eingeprägt hatte.
Henry bestellte also den Geschäftsführer des Ritz zu sich und teilte ihm mit, daß seine Suite bis zu seiner Rückkehr an niemand anderen vergeben werden dürfe. Er zahlte für ein Jahr im voraus – denn mehr als ein Jahr, dachte er, würde man doch wohl nicht brauchen, um mit solchen Emporkömmling wie Herrn Hitler fertig zu werden – , und reiste ab nach Kairo. Der Geschäftsführer soll später einmal, auf die Ironie dieser Abreise nach Ägypten anspielend geäußert haben, der Pascha sei im Grunde genommen britischer als die Briten.
Henry verbrachte ein Jahr in seinem Palast in Kairo, bis er von seinen Landsleuten so genug hatte, daß er sich nach New York zurückzog, wobei er nur knapp die Chance versäumte, Herrn Rommel von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. In New York schlug Henry seine Zelte im Hotel Pierre an der Fifth Avenue auf, nahm sich einen amerikanischen Diener namens Eugene und wartete nun darauf, daß Mr. Churchill endlich den Krieg beendet. Zum Zeichen seiner unverbrüchlichen Verbundenheit
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