Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rivalen
Vom Netzwerk:
traditionsreiche Angelegenheit. Botschafter, Diplomaten, Bankiers und Mitglieder des House of Lords sitzen dicht gedrängt zusammen mit dem allgemeinen Publikum auf der Besuchergalerie. Die Schlange der Wartenden, die einen Sitz ergattern wollen, ist oft fast einen halben Kilometer lang, doch nur ein halbes Dutzend Menschen kann die Rede des Finanzministers mitanhören, weil die meisten Plätze bereits reserviert sind, bevor sich die Schlange noch bildet. Der Sitzungssaal selbst ist meistens schon eine Stunde vor Beginn der Rede überfüllt. Auf der Pressegalerie ist es nicht anders. Die Hinterbänkler sind schon um 14 Uhr 25 im Sitzungssaal, um ihre Plätze nicht zu verlieren. Die Konservativen können ihre Sitze reservieren. Die Sozialisten, die dies undemokratisch finden, stürzen um halb drei in den Saal. Die Atheisten auf beiden Seiten warten, bis der Geistliche das Gebet gesprochen hat, und drängen sich dann, in der Hoffnung, ihre gewohnten Plätze noch frei zu finden, in den Saal.
    Am Budgettag zieht man sich auch exzentrisch an. Auf den Bänken der Konservativen sieht man ein paar Zylinder, bei den Sozialisten da und dort den Helm der Bergarbeiter. Tom Carson erschien in einem Overall mit einem Liverpool-Schal um den Hals, während Alec Pimkin sich mit einer roten Seidenweste und einer weißen Nelke im Knopfloch seines Cuts begnügte.
    Lang vor drei Uhr ist von dem grünen Leder auf den vordersten Bankreihen nichts mehr zu sehen, und sollte noch ein Hinterbänkler kommen, wird er auf die oberste Galerie verwiesen, die sogenannte Seitengalerie der Abgeordneten.
    Um zehn nach drei trat Raymond aus seinem Wohnsitz in Downing Street No. 11 und hielt das berühmte alte Budgetportefeuille, das zum erstenmal von Gladstone benutzt wurde, hoch über den Kopf, damit die Presseleute das traditionelle Foto machen konnten, bevor man ihn ins Unterhaus fuhr.
    Um Viertel nach drei, als der Premierminister aufstand, um Anfragen zu beantworten, glich der Sitzungssaal dem Zuschauerraum in einem West End-Theater bei einer Premiere; und was die Abgeordneten erwartete, war auch echtes Theater.
    Um drei Uhr fünfundzwanzig betrat Raymond, bejubelt von den sozialistischen Abgeordneten, den Saal. Jeder Platz im Unterhaus mit Ausnahme des seinen war besetzt. Er sah zur Besuchergalerie hinauf und lächelte Joyce zu. Als der Premier um halb vier die Anfragen beantwortet hatte, stand der Vorsitzende des Haushaltsausschusses auf – laut Tradition nimmt er vor einer Budgetdebatte den Platz des Speakers ein, weil dieser als »Mann des Königs« bei Geldangelegenheiten sein Amt nicht ausübt – und rief:
    »Herr Finanzminister, die Budgeterklärung.«
    Raymond erhob sich und legte das Redemanuskript vor sich auf das Pult. Er begann mit einem Überblick über die
    Weltwirtschaft und erklärte dem Unterhaus die Überlegungen, die seinem ersten Budget zugrunde lagen - nämlich die Arbeitslosigkeit zu senken, ohne die Inflation zu steigern. Anderthalb Stunden sprach er, ohne dem Unterhaus auch nur eine der von ihm geplanten Veränderungen mitzuteilen. Auch damit hielt er sich an eine Tradition, nämlich die, keine unwiderruflichen Entscheidungen vor Börsenschluß bekanntzugeben. Gleichzeitig bot es ihm Gelegenheit, das Unterhaus mit ein paar Andeutungen in Spannung zu halten.
    Bei Seite 78 angekommen, trank Raymond einen Schluck Wasser. Er hatte den theoretischen Teil beendet, jetzt kam der praktische.
    »Die Alterspensionen werden höher sein als je zuvor. Auch die Zuschüsse für Familien mit nur einem Elternteil und die Zuwendungen für Behinderte werden angehoben.« Raymond machte eine Pause, zog ein vergilbtes Papier aus der Tasche und las aus der ersten Rede vor, die er in der Öffentlichkeit gehalten hatte. »Keine Frau, deren Mann sein Leben für unser Land hingab, darf darben, weil wir eine undankbare Nation sind. Die Pensionen für Kriegerwitwen werden um fünfzig Prozent erhöht, und die Kriegsanleihen voll honoriert.« Der Beifall nach dieser Erklärung dauerte eine ganze Weile. Als der Saal sich wieder beruhigt hatte, fuhr Raymond fort: »Steuern für Bier, Zigaretten, Benzin und Parfüm werden um fünf Prozent angehoben. Die Steuerabzüge bei Gehältern von über dreißigtausend Pfund im Jahr werden fünfundachtzig Prozent betragen, und die Kapitalertragssteuer fünfzig Prozent.« Einige Konservative setzten eine grimmige Miene auf. Der Finanzminister kündigte zur Beschaffung von Arbeitsplätzen für bestimmte Regionen ein

Weitere Kostenlose Bücher