Archer Jeffrey
sehr schlecht.
Vielleicht … vielleicht wollen Sie mit mir zum Barbican kommen? Dann könnten Sie meine Wohnung begutachten.«
»Vielleicht ist sie ein klarer Fall«, sagte sie lächelnd.
Raymond erwiderte das Lächeln und begab sich mit seinen Kollegen in den Sitzungssaal. Es blieben ihm nur sechs Minuten, die richtige Lobby zu finden. Da er nicht wußte, worüber man abstimmte, folgte er den anderen LabourAbgeordneten in die Nein-Lobby. Das Läuten hörte auf, und die Türen wurden verriegelt.
Wann immer über eine Debatte abgestimmt werden soll, erklärt der Speaker: »Ich glaube, die Ja-Stimmen gewinnen«, worauf von der opponierenden Gruppe lauthals »nein« gebrüllt wird. Damit ist die Abstimmung um zehn Uhr abends gesichert. In Westminster, in den nahe gelegenen Häusern der Abgeordneten und in den Restaurants der Umgebung läuten Glocken.
Dann eilen die Mitglieder in die »Ja«-, respektive »Nein«Lobbys, bevor der Ruf »Schließt die Türen« ertönt. Worauf die Abgeordneten an zwei Beamten vorbeigehen müssen, die ihre Namen notieren. Als Raymond am Whip vorbeikam, der die Stimmen zählte, rief dieser eben »dreiundsiebzig«. Die einzige bei einer Abstimmung geltende Regel besagt, daß kein Mitglied Hut oder Mantel tragen darf. Ein Beamter hatte Raymond erzählt, diese Vorschrift stamme aus Zeiten, in denen faule Mitglieder ihre Kutscher mit herabgezogenem Hut, in einen Mantel gehüllt ins Parlament schickten, um an ihrer Stelle abzustimmen. Einige von ihnen wären vermutlich bessere Abgeordnete gewesen als ihre Brotgeber, dachte Raymond oft.
Im Couloir stellte er fest, daß man über eine Klausel der Gewerkschaftsvorlage abstimmte, die den Zwangsbeitritt betraf. In diesem Punkt stand er voll auf der Seite seiner Partei. Als er nach der Abstimmung in den Speisesaal für Besucher zurückkehrte, sah Stephanie eben prüfend in ihren Taschenspiegel – ein kleines rundes Gesicht, grüne Augen, braunes Haar. Sie zog sich die Lippen nach. Plötzlich fand er, daß er für einen Mann unter vierzig ein bißchen zu korpulent war.
»Gehen wir?« schlug er vor, nachdem er gezahlt hatte.
In der Wohnung angekommen, legte er eine Platte von Charles Aznavour auf und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Daß Frauen ihn attraktiv fanden, ahnte er nicht. Ein paar Kilo mehr und einige graue Haare hatten seiner Erscheinung nicht geschadet, sondern ihr eher etwas Würde verliehen.
»Kein Zweifel, das ist eine Junggesellenwohnung«, bemerkte Stephanie, den bequemen Lederfauteuil, den Pfeifenständer und die Karikaturen von Richtern und Politikern aus der Zeit der Jahrhundertwende betrachtend.
Raymond brachte ein Tablett mit Kaffee und zwei Schwenkgläser mit Brandy.
»Sind Sie nicht manchmal einsam?« fragte sie.
»Von Zeit zu Zeit.« Er schenkte den Kaffee ein.
»Und dazwischen?«
»Schwarz?« fragte er, ohne sie anzusehen.
»Schwarz, bitte.«
»Zucker?«
»Für einen Mann, der Minister war, und der, so munkelt man, bald der jüngste Kronanwalt des Landes sein wird, sind Sie Frauen gegenüber noch sehr unsicher.«
Raymond wurde rot, aber er hob den Kopf und sah ihr in die Augen.
In die Stille hinein hörte er Aznavours Worte: »Du läßt dich gehen …«
»Möchte mein verehrter Freund gern tanzen?« fragte sie leise.
Raymond erinnerte sich noch an das letztemal, als er getanzt hatte. Diesmal mußte es anders sein, dazu war er entschlossen. Er hielt Stephanie eng an sich gepreßt und sie wiegten sich zu der Musik von Marcel Stellman. Daß Raymond seine Brille abnahm und in die Tasche steckte, merkte sie nicht. Er küßte ihren Hals, und sie seufzte.
Charles studierte seine Liste von dreihundertdreißig Konservativen. Bei zweihundertsiebzehn war er sicher, bei vierundfünfzig unsicher, und neunundfünfzig hatte er fast schon aufgegeben. Soweit er über die Labour-Seite informiert war, wollten fünfzig Sozialisten aus der Reihe tanzen, und wenn die große Abstimmung kam, mit der Regierung wählen.
»Die Laus im Pelz«, erklärte er dem Chief Whip, »ist immer noch die geplante Gewerkschaftsreform. Die Linke versucht, jene Sozialisten, die für Europa sind, zu überzeugen, daß es durch nichts zu rechtfertigen sei, mit diesen Gewerkschaftszerstörern gemeinsame Sache zu machen.« Er habe Angst, fuhr er fort, daß man die Europaabstimmung verlieren werde, wenn man die Gewerkschaftsreform nicht modifiziere. »Und daß Alec Pimkin die Unentschlossenen in unserer Partei um sich zu scharen versucht, ist auch ärgerlich.«
»Es
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