Archer Jeffrey
Fall klang faul … Andrew rief den Staatsanwalt an.
»Guten Morgen, Mr. Fraser. Was kann ich für Sie tun, Sir?«
Andrew mußte lachen. Angus Sinclair war ein Altersgenosse seines Vaters und kannte Andrew seit dessen Kindheit. Aber wenn er mit jemandem beruflich zu tun hatte, dann war jeder, ohne Ausnahme, für ihn ein Fremder.
»Er sagt sogar zu seiner Frau Mrs. Sinclair, wenn sie ihn im Büro anruft«, hatte ihm Sir Duncan einmal verraten. Andrew war durchaus bereit, mitzuspielen.
»Guten Morgen, Mr. Sinclair. Ich brauche Ihren Rat als Staatsanwalt.«
»Stehe immer gern zu Ihren Diensten, Sir.«
»Ich möchte mit Ihnen privat über den Fall Paddy O’Halloran sprechen. Sie erinnern sich bestimmt an ihn.«
»Natürlich, hier erinnert sich jeder an den Fall.«
»Gut, dann ist Ihnen auch klar, wie sehr Sie mir helfen könnten, mich in diesem Gewirr zurechtzufinden.«
»Danke, Sir.«
»Einige meiner Wähler, denen ich nicht über den Weg traue, behaupten, man habe O’Halloran zu Unrecht mit dem Banküberfall vom letzten Jahr in Verbindung gebracht. Sie leugnen nicht, daß er kriminelle Neigungen habe« – Andrew hätte gelacht, wäre sein Gesprächspartner nicht Angus Sinclair gewesen – »aber sie behaupten, er habe zur Zeit, als der Bankraub stattfand, ein Gasthaus namens ›Sir Walter Scott‹ nicht verlassen. Wenn Sie mir sagen, Mr. Sinclair, daß Sie O’Halloran mit Sicherheit für schuldig halten, stelle ich keine Nachforschungen an. Wenn Sie nichts sagen, werde ich weiterwühlen.«
Andrew wartete, erhielt jedoch keine Antwort.
»Danke, Mr. Sinclair.« Obwohl er wußte, daß er keine Erwiderung erhalten würde, konnte er sich nicht zurückhalten, hinzuzufügen: »Zweifellos werde ich Sie am Wochenende im Golfklub sehen.« Schweigen.
»Auf Wiedersehen, Mr. Sinclair.«
»Auf Wiedersehen, Mr. Fraser.«
Andrew lehnte sich zurück. Die Sache würde langwierig werden. Zuerst sprach er mit den Leuten, die O’Hallorans Alibi bestätigt hatten, doch nach den ersten acht kam er zu dem Schluß, daß man keinem von ihnen als Zeugen trauen könne. Es war an der Zeit, mit dem Wirt des Gasthauses zu sprechen.
»Ich bin nicht ganz sicher, Mr. Fraser, aber ich glaube, er war an jenem Abend hier. Die Schwierigkeit ist die: O’Halloran kam fast jeden Abend.«
»Kennen Sie jemanden, der sich genau erinnern könnte? Jemanden, dem sie Ihr Portefeuille anvertrauen würden?«
»Das wäre bei meinen Gästen eine gewagte Sache, Mr. Fraser.« Der Wirt dachte eine Weile nach. »Aber da haben wir die alte Mrs. Bloxham«, sagte er schließlich und warf das Geschirrtuch über die Schulter. »Sie sitzt jeden Abend in dieser Ecke.« Er wies auf einen kleinen runden Tisch. »Wenn sie sagt, daß er hier war, dann war er hier.«
Andrew fragte nach ihrer Adresse und machte sich auf den Weg zur Mafeking Road, einer Gruppe von Kindern ausweichend, die mitten auf der Straße Fußball spielten. Er lief ein paar Treppen hinauf, die reparaturbedürftig aussahen, und klopfte an Tür Nr. 43.
»Haben wir schon wieder Neuwahlen, Mr. Fraser?« fragte eine verwunderte alte Dame, als sie durch den Briefschlitz lugte.
»Nein, es hat nichts mit Politik zu tun, Mrs. Bloxham«, sagte Andrew, sich bückend. »Ich suche Ihren Rat in einer persönlichen Angelegenheit.«
»Eine persönliche Angelegenheit? Dann kommen Sie doch herein, es ist kalt draußen.« Sie öffnete ihm die Tür. »Im Gang ist es so zugig.«
Andrew folgte der alten Dame, die in Filzpantoffeln durch den Flur schlurfte, in ein Zimmer, in dem es seiner Meinung nach kälter war als draußen. Das Zimmer war völlig schmucklos, abgesehen von einem Kruzifix, das auf dem Kaminsims unter einem Farbdruck der Jungfrau Maria stand. Mrs. Bloxham bot Andrew einen Stuhl vor einem ungedeckten Tisch an. Sie selbst ließ sich in einen alten Polstersessel fallen. Er knarrte unter ihrem Gewicht, und ein Büschel Roßhaar fiel zu Boden. Andrew sah die alte Dame genauer an. Über einem Kleid, das sicherlich tausendmal getragen worden war, hatte sie einen schwarzen Schal drapiert. Sie schob ihre Pantoffel weg.
»Machen Ihnen die Füße Ärger?« fragte Andrew.
»Der Arzt kann mir nicht erklären, warum sie so geschwollen sind«, erwiderte sie ohne Bitterkeit.
Andrew stellte fest, daß der Tisch besonders schön war und absolut nicht zu seiner Umgebung paßte. Die Eleganz der geschnitzten Beine fiel ihm besonders auf. Sie merkte seine Bewunderung. »Mein Urgroßvater schenkte ihm meiner Urgroßmutter zur Hochzeit,
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