Archer Jeffrey
Architektur, die trotz profitsüchtiger Stadtplaner irgendwie überlebt hatte. Sie kletterten sogar den Hügel hinauf und warfen einen Blick in die prachtvolle gotische Kirche, die die Umgebung beherrschte.
Als sie an den Geschäften in der Hauptstraße vorbeigingen, nickte Simon jenen zu, die ihn zu erkennen schienen.
»Eine Menge Leute wissen offenbar, wer du bist«, bemerkte Elizabeth, und dann fiel ein Blick auf einen Zeitungsständer. Auf einer Bank sitzend lasen sie den Leitartikel, den ein großes Bild von Simon zierte. »Redcorns nächster Parlamentsabgeordneter?« war die Überschrift. In dem Artikel hieß es, daß Kerslake zwar der Favorit sei, jedoch auch Bill Travers, ein Farmer und bisher Vorsitzender des Stadtrates, gewisse Chancen hätte.
Simon fühlte leichte Übelkeit. Sie erinnerte ihn an jenen Tag vor fast acht Jahren, als man ihn in Coventry Central interviewt hatte. Er war heute, als Minister der Krone, nicht weniger nervös.
Als sie in die Parteizentrale zurückkehrten, erfuhren sie, daß man erst bei der Befragung des dritten Kandidaten angelangt war. Wieder schlenderten sie durch die Stadt, diesmal noch langsamer, und sahen den Ladeninhabern zu, die die »Offen«Schilder durch Schilder mit der Aufschrift »Geschlossen« ersetzten.
»Eine hübsche Stadt«, sagte Simon, um herauszufinden, wie es seiner Frau gefiel.
»Und die Leute sind, verglichen mit den Londonern, so höflich«, meinte Elizabeth.
Sie machten sich wieder auf den Rückweg und sagten den Passanten »Guten Abend«; freundliche Menschen, die zu vertreten ihn stolz machen würde, dachte Simon. Obwohl Elizabeth und er sehr langsam gingen, waren sie nach einer halben Stunde wieder am Ziel.
Eben verließ der vierte Kandidat das Zimmer; er sah niedergeschlagen aus. »Jetzt sollte es nicht mehr lang dauern«, meinte der Sekretär, doch es vergingen weitere vierzig Minuten, bevor sie Applaus hörten und ein Mann in Tweedjacke und brauner Hose das Zimmer verließ. Auch er schien nicht glücklich.
Der Sekretär führte Simon und Elizabeth hinein, und alle im Zimmer Anwesenden standen auf. Minister der Krone kamen nicht oft nach Redcorn.
Simon wartete, bis Elizabeth sich gesetzt hatte, bevor er dem Ausschuß gegenüber Platz nahm. Ungefähr fünfzig Leute sahen ihn an – nicht feindselig, nur neugierig. Es waren wetterharte Gesichter, und fast alle, Männer und Frauen, trugen Tweedjacken. In seinem dunklen Anzug kam Simon sich fehl am Platz vor.
»Und jetzt«, sagte der Vorsitzende, »heißen wir das Parlamentsmitglied, the Honourable Simon Kerslake willkommen. Mr. Kerslake wird zwanzig Minuten zu uns sprechen, und dann so freundlich sein, Fragen zu beantworten.«
Simon hatte das Gefühl, gut gesprochen zu haben, aber selbst seine sorgfältig ausgewählten Scherze riefen nur ein Lächeln hervor, und seine ernsthafteren Statements hatten kaum ein Echo. Als er geendet hatte, setzte er sich, begleitet von respektvollem Händeklatschen.
»Jetzt ist der Minister bereit, Fragen zu beantworten.«
»Wie stehen Sie zur Todesstrafe?« fragte eine brummige Frau mittleren Alters in der ersten Reihe.
Simon erklärte, warum er gegen die Todesstrafe sei. Der finstere Gesichtsausdruck der Fragerin änderte sich nicht, und Simon dachte, um wieviel zufriedener sie mit Ronnie Nethercote gewesen wäre.
»Was halten Sie von den Subventionen für die Landwirtschaft in diesem Jahr?« fragte ein Mann.
»Gut für Eier, schlecht für Rinder und katastrophal für Schweine. So las ich es zumindest gestern auf der Titelseite des Farmers’ Weekly. « Zum erstenmal lachten einige Anwesende. »In Coventry Central brauchte ich mich nicht viel mit Landwirtschaft zu beschäftigen, aber sollte ich das Glück haben, Redcorn zu vertreten, würde ich rasch lernen und mit Ihrer Hilfe die Probleme der Farmer zu meinen eigenen machen.« Ein paar Köpfe nickten beifällig.
»Miss Pentecost, Vorsitzende des Frauenrates«, verkündete eine große magere Frau, die aufgestanden war, um den Blick des Vorsitzenden zu erhaschen. »Darf ich an Mrs. Kerslake eine Frage richten? Wären Sie bereit, in Northumberland zu leben, wenn Ihrem Mann dieser Sitz angeboten wird?«
Elizabeth hatte diese Frage gefürchtet. Sie wußte, daß man von ihr erwartete, ihre Stellung aufzugeben, falls Simon den Wahlkreis bekam. Simon drehte sich nach seiner Frau um.
»Nein«, antwortete sie ohne Umschweife. »Ich bin Gynäkologin am St. Mary’s Hospital in London. Ich unterstütze meinen Mann in seiner
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