Archer Jeffrey
Kate und stützte den Ellbogen auf das Kissen.
»Warum in Blackpool?« fragte Raymond und starrte zur
Decke.
»Weil dort der diesjährige Parteitag abgehalten wird,
Karottenkopf.«
»Was glaubst du, könnte ich dort erreichen?«
»Man würde feststellen, daß du noch lebst. Im Augenblick bist
du in Gewerkschaftskreisen nur ein Gerücht.«
»Aber wenn man weder ein Minister noch ein
Gewerkschaftsführer ist, dann macht man bei Parteitagen nichts
anderes, als vier Tage lang schlecht zu essen, in schäbigen
Rasthäusern zu schlafen und zweitklassige Reden anzuhören.« »Mir ist es egal, wohin du abends dein müdes Haupt bettest,
aber ich möchte, daß du untertags deine Kontakte zu den
Gewerkschaften wieder auffrischst.«
»Warum?« fragte Raymond. »Diese Leute können mir nicht
weiterhelfen.«
»Nicht im Moment«, sagte Kate. »Aber ich sage voraus, daß
die Labour-Partei, wie die Amerikaner bei ihren Parteikonventen, eines Tages ihren Chef auf dem Parteitag
wählen wird.«
»Niemals. Das ist das Vorrecht der gewählten Abgeordneten
im Unterhaus und wird es immer bleiben.«
»Diese kurzsichtige, großspurige Feststellung hätte ich von
einem Republikaner erwartet«, sagte sie, bevor sie ihm ein
Kissen über den Kopf legte. Raymond tat so, als ersticke er, also
hob sie eine Ecke und flüstere ihm ins Ohr: »Hast du die
Resolutionen gelesen, die dieses Jahr dort besprochen werden
sollen?«
»Ein paar«, war Raymonds dumpfe Antwort.
»Dann wäre es vielleicht klug, den Beitrag von Anthony
Wedgwood Benn zu lesen«, sagte sie und schob das Kissen fort. »Was verlangt er diesmal?«
»Er fordert die › Konferenz‹, wie er die Versammlung deiner
Genossen nennt, auf, den nächsten Parteiboß von allen
Delegierten wählen zu lassen, und zwar von den Wahlkomitees
aller Wahlkreise, den Gewerkschaften und dem Parlament
gemeinsam – ich glaube, in dieser Reihenfolge.«
»Verrückt. Aber was kann man von ihm erwarten? Er ist mit
einer Amerikanerin verheiratet.«
»Die Extremisten von heute sind die Gemäßigten von
morgen«, sagte Kate fröhlich.
»Eine typisch amerikanische Verallgemeinerung.«
»Stammt von Disraeli.«
Raymond zog das Kissen wieder über den Kopf.
Auch Andrew kam zu der Parteikonferenz, obwohl er nie für
Tony Benns Vorschlag, einen Führer zu wählen, gestimmt hätte.
Er fürchtete, daß man, wenn die Gewerkschaften so viel Einfluß
bekämen, einen Führer wählen könnte, der für seine Kollegen
im Unterhaus absolut unannehmbar wäre. Als der Antrag
mehrheitlich abgelehnt wurde, war er erleichtert, mußte jedoch zur Kenntnis nehmen, daß die Mehrheit keineswegs
überwältigend war.
Auch als Minister konnte Andrew in Blackpool nichts anderes
bekommen als ein kleines Zimmer in einem Rasthaus, das sich
Hotel nannte, und fünf Kilometer vom Konferenzzentrum
entfernt war. Er hatte seine Aufgaben als Staatsminister
wahrzunehmen – jeden Morgen kamen rote Portefeuilles an,
jeden Nachmittag wurden sie abgeholt – und mußte sich
gleichzeitig bei der Konferenz bemerkbar machen. Die halbe
Zeit verbrachte er damit, in der Hotelhalle R-Gespräche mit dem
Innenministerium zu führen. Kein Bürger der Sowjetunion hätte
das für möglich gehalten, insbesondere wenn er gewußt hätte,
daß der Staatsminister für Verteidigung, der neben Andrew
wohnte, ungeduldig im Korridor auf und ab lief und wartete, bis
das Telefon frei war.
Andrew hatte noch nie bei einer Parteikonferenz zu
dreitausend Delegierten gesprochen. Als er die morgendliche
Sitzung verließ, sah er zu seinem Erstaunen Raymond Gould
etwas verloren herumwandern. Sie begrüßten einander wie zwei
gesunde Menschen in einer Irrenanstalt und beschlossen,
gemeinsam im River House zu Mittag zu essen.
Obwohl beide schon mehr als zehn Jahre im Unterhaus saßen,
entdeckten sie zum erstenmal, wieviel sie verband. Andrew
hatte sich nie als enger Freund von Raymond betrachtet, jedoch
seine Haltung bei der Pfundabwertung bewundert.
»Du mußt enttäuscht gewesen sein, daß dich der Premier nicht
in die Regierung genommen hat«, begann Andrew.
Raymond starrte auf die Speisenkarte. »Sehr«, gab er
schließlich zu. Ein junges Mädchen kam, um die Bestellung
aufzunehmen.
»Trotzdem war es klug, nach Blackpool zu kommen. Hier liegt
deine Stärke.«
»Glaubst du?«
»Natürlich. Jeder weiß, daß du das Lieblingskind der
Gewerkschaften bist, und sie haben viel Einfluß darauf, wer im
Kabinett sitzt.«
»Das habe ich nicht bemerkt«, meinte Raymond betrübt. »Du wirst es
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