Archer Jeffrey
merken, wenn sie eines Tages den Parteichef
selber wählen.«
»Komisch, genau das sagte … sagte Joyce letzte Woche.« »Joyce scheint eine vernünftige Frau zu sein. Ich fürchte, es
wird noch dazukommen, während wir Abgeordnete sind.« Der Besitzer kam, um ihnen zu sagen, daß ihr Tisch frei sei,
und sie gingen in das kleine Eßzimmer.
»Warum fürchtest du dich davor?« fragte Raymond und setzte
sich.
»Gemäßigte Labour-Leute wie ich werden wie welkes Laub
hinweggefegt werden.«
»Aber ich gehöre selbst zu den Gemäßigten; bei vielen Fragen
stehe ich sogar rechts.«
»Vielleicht. Aber jede Partei braucht einen Mann wie dich,
und im Augenblick wäre es den Gewerkschaftlern auch egal,
wenn du eingeschriebener Faschist wärest. Sie würden dich
trotzdem unterstützen.«
»Warum bist du dann bei der Konferenz?«
»Weil es die beste Chance ist, mit der Basis in Kontakt zu
bleiben, und ich hoffe, daß der radikale Flügel nie viel mehr sein
wird als ein ungezogenes Kind, mit dem die Erwachsenen
auskommen müssen.«
»Wollen hoffen, daß du recht hast«, meinte Raymond, »denn
sie werden nie erwachsen werden.« Andrew lachte, und
Raymond wechselte das Thema. »Ich beneide dich immer noch
um deine Stellung im Home Office. Ich bin nicht in die Politik
gegangen, um mein Leben auf den hinteren Bänken zu
verbringen.«
»Der Tag wird kommen, an dem ich dort sitze und dich
beneide.«
Während Andrew sprach, kam der Vorsitzende der
Metallarbeitergewerkschaft vorbei und rief: »Schön dich zu
sehen, Ray.« Andrew schien er nicht zu kennen. Raymond
lächelte den Mann an und winkte ihm zu, wie Cäsar vielleicht
Cassius zugewinkt hätte.
Als sie beide einen Dattel-Nuß-Pudding ablehnten, schlug
Andrew einen Brandy vor.
Raymond zögerte.
»Du wirst feststellen, daß hier mehr doppelte Brandys
getrunken werden als nächste Woche beim Parteitag der
Konservativen. Frag die Kellnerin.«
»Hast du beschlossen, wie du dich bei der Wahl des neuen Parteiführers verhalten wirst?« fragte Fiona beim Frühstück. »Ja«, antwortete Charles, »und in diesem Stadium meiner
Karriere kann ich mir keinen Fehler leisten.«
»Was hast du also beschlossen?«
»Solange es keinen ernsthaften Gegner gibt, werde ich Ted Heath weiter unterstützen.«
»Gibt es einen Minister des Schattenkabinetts, der den Mut hat, sich aufstellen zu lassen?«
»Es kursieren Gerüchte, daß Margaret Thatcher es wagt. Wenn sie so viele Stimmen bekommt, daß eine zweite Wahl nötig ist, werden sich die seriösen Kandidaten melden.«
»Und was geschieht, wenn sie in der ersten Runde gewinnt?«
»Sei nicht dumm, Fiona«, sagte Charles und interessierte sich nunmehr für die Rühreier. »Die Torys werden nie eine Frau als Führerin wählen. Dazu sind wir zu traditionsverbunden. Diesen Irrtum würde nur die Labour Party begehen, um zu zeigen, wie sehr sie an die Gleichheit glaubt.«
Simon drängte Margaret Thatcher immer noch, sich in den Kampf zu stürzen.
Amüsiert beobachteten Andrew und Raymond den Kampf der Konservativen um die Parteiführung, während sie in ihrer Arbeit fortfuhren. Raymond hätte Thatcher keine Chance gegeben, hätte ihn Kate nicht erinnert, daß die Konservativen nicht nur die ersten gewesen waren, die einen Juden zum Führer wählten, sondern auch als erste einen Junggesellen zu ihrem Chef gemacht hatten.
»Warum sollen sie nicht auch eine Frau wählen?« fragte sie. Er hätte weiter mit ihr gestritten, aber diese verflixte Person hatte schon so oft recht gehabt. »Warten wir ab«, war alles, was er sagte.
Die Wahl des konservativen Parteiführers wurde für den 4. Februar 1975 angesetzt. Bei einer Pressekonferenz im Unterhaus Anfang Januar hatte Margaret Thatcher bekanntgegeben, daß sie sich aufstellen lassen würde. Simon forderte alle seine Kollegen auf, sie zu unterstützen, und trat zu diesem Zweck einem kleinen Komitee unter Airey Neave bei. Charles hingegen warnte seine Freunde, daß die Partei an der Spitze nie eine Wahl gewinnen könne. Die Tage vergingen, und der Ausgang der Wahl blieb ungewiß wie eh und je.
An einem besonders nassen und windigen Tag um vier Uhr gab der Vorsitzende des Komitees die Zahlen bekannt:
Margaret Thatcher 130
Edward Heath 119
Hugh Fraser 16
Nach den Abstimmungsregeln brauchte der Sieger eine
Mehrheit von fünfzehn Prozent; eine zweite Abstimmung war notwendig. »Sie wird in einer Woche erfolgen«, verkündete der Fraktionsvorsitzende. Drei ehemalige Kabinettsmitglieder meldeten sich sofort als
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