Archer Jeffrey
und Russen statt. General Pilsudski tut alles, was in seiner Macht steht, um die territoriale Integrität unserer Heimat zu schützen. Aber allzu großer Optimismus wäre töricht. In Polen bleibt wenig zu tun für dich; das Beste wäre, in England oder Amerika ein neues Leben zu beginnen.«
»Aber ich will nicht nach England oder Amerika. Ich bin Pole.«
»Wo du auch lebst, du wirst immer Pole bleiben, Wladek. Das kann dir niemand wegnehmen. Aber du solltest dein Leben, das kaum noch begonnen hat, realistisch sehen.«
Mutlos senkte Wladek den Kopf. Hatte er das alles mitgemacht, um jetzt zu erfahren, daß er nie mehr in seine Heimat zurückkehren können würde? Er kämpfte mit den Tränen.
Pawel Zaleski legte einen Arm um die Schultern des Jungen. »Vergiß nie, daß du zu den Glücklichen gehörst, denen es gelang, diesen Völkermord zu überleben. Du mußt nur an deinen Freund Doktor Dubien denken, dann weißt du, wie dein Leben hätte aussehen können.«
Wladek erwiderte nichts.
»Du mußt jetzt alle Gedanken an die Vergangenheit verbannen und nur an deine Zukunft denken, Wladek. Vielleicht wirst du die Wiedergeburt Polens noch erleben - das ist mehr, als ich zu hoffen wage.«
Wladek antwortete nicht.
»Du mußt ja nicht sofort einen Entschluß fassen«, sagte der Konsul freundlich. »Bis du entschieden hast, wie deine Zukunft aussehen soll, kannst du gern hierbleiben.«
10
Anne machte sich Sorgen über die Zukunft. Die ersten Monate ihrer Ehe waren glücklich gewesen und nur getrübt durch Williams Abneigung gegen ihren Mann und Henrys offensichtliche Unlust, sich für eine Tätigkeit zu entscheiden. In diesem Punkt war Henry empfindlich; er erklärte Anne, daß er noch immer vom Krieg verunsichert und nicht bereit sei, sich in etwas zu stürzen, bei dem er vermutlich sein weiteres Leben lang bleiben würde. Sie konnte sich nur schwer damit abfinden, und schließlich kam es zum ersten Streit.
»Ich verstehe nicht, warum du dieses Realitätenbüro, das dich so lockte, nicht eröffnest, Henry.«
»Es geht nicht, es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Im Augenblick sieht der Realitätenmarkt nicht sehr rosig aus.« »Das behauptest du seit einem Jahr. Ich frage mich, ob er jemals rosig genug für dich sein wird.«
»Bestimmt. Die Wahrheit ist, daß ich etwas mehr Startkapital brauche. Wenn du mir Geld leihen könntest, wäre ich morgen im Geschäft.«
»Das ist unmöglich, Henry. Du kennst Richards Testamentsbestimmungen. Meine Apanage wurde am Tag unserer Eheschließung eingestellt, und jetzt besitze ich nur mehr mein Vermögen.«
»Ein wenig davon würde mir bereits helfen. Und vergiß nicht, dein geliebter Sohn hat über zwanzig Millionen im Familientrust.«
»Du scheinst eine Menge über Williams Trust zu wissen«, sagte Anne mißtrauisch.
»Ach, bitte Anne, gib mir eine Chance, dein Mann und nicht nur Gast in meinem eigenen Haus zu sein.«
»Was ist mit deinem Geld geschehen, Henry? Du hast mich immer in dem Glauben gelassen, du hättest genügend Kapital, um etwas anzufangen.«
»Du wußtest immer, daß ich finanziell nicht an Richard heranreiche. Und es gab eine Zeit, in der du fandest, das spiele keine Rolle, Anne. ›Ich würde dich auch heiraten, wenn du keinen Groschen hättest, Henry‹«, äffte er sie nach.
Anne brach in Tränen aus, und Henry versuchte sie zu trösten. Den Rest des Abends lag sie in seinen Armen, und sie besprachen das Problem. Anne redete sich ein, daß sie kleinlich und lieblos sei. Sie besaß mehr Geld, als sie jemals brauchen würde. Konnte sie nicht dem Mann, dem sie ihr Leben anvertraut hatte, auch etwas von ihrem Vermögen anvertrauen?
Als Folge dieser Überlegungen gab sie Henry hunderttausend Dollar, um in Boston ein Realitätenbüro zu eröffnen. Binnen einem Monat hatte Henry ein elegantes neues Büro in einem eleganten Stadtviertel gefunden und Personal aufgenommen. Er begann zu arbeiten. Bald verkehrte er mit allen Politikern der Stadtverwaltung und mit allen Grundstücksmaklern von Boston. Sie sprachen von steigenden Landpreisen und schmeichelten Henry. Anne verkehrte nicht gern mit diesen Leuten, aber Henry war glücklich und schien Erfolg zu haben.
William war jetzt vierzehn Jahre alt und das dritte Jahr in St. Paul. Er war der sechste in der Gesamtbewertung und der beste Mathematiker seiner Klasse. Auch im Diskussionsklub wurde man auf ihn aufmerksam. Einmal in der Woche schrieb er an seine Mutter und berichtete ihr von seinen Fortschritten; er
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