Archer Jeffrey
wert sein wird.«
Nach einem anderen, etwas längeren Streit gab Anne nochmals nach, und damit kehrten sie wieder zur bequemen Alltagsroutine zurück. Als Anne ihr Konto bei der Bank kontrollierte, stellte sie fest, daß sie nur noch hundertfünfzigtausend Dollar besaß. Aber Henry schien die richtigen Leute zu kennen und die richtigen Abschlüsse zu tätigen. Sie überlegte, ob sie das Problem mit Alan Lloyd bei Kane and Cabot besprechen sollte, sah aber letztlich davon ab. Es hätte bedeutet, dem Mann zu mißtrauen, den alle Welt respektieren sollte, und bestimmt hätte Henry den Vorschlag nicht gemacht, wäre er nicht sicher gewesen, daß das Darlehen von Alan gebilligt wurde.
Anne ging auch zu Dr. MacKenzie und fragte ihn, ob sie ein zweites Kind haben könne. Der Arzt riet ihr ab; mit dem hohen Blutdruck, der die erste Fehlgeburt verursacht hatte, hielt er nichts davon, mit fünfunddreißig Jahren nochmals einen Versuch zu wagen. Anne besprach die Frage mit den Großmüttern, und auch sie schlossen sich voll und ganz der Meinung des Arztes an. Keine von beiden hielt viel von Henry Osborne, und noch viel weniger hielten sie von einem Osborne-Sprößling, der nach ihrem Tod Ansprüche an das Familienvermögen der Kane stellen könnte. Anne fand sich mit der Tatsache ab, daß William ihr einziges Kind bleiben würde. Henry war ärgerlich über ihren ›Verrat‹, wie er es nannte, und behauptete, daß Anne, wäre Richard noch am Leben, bestimmt einen Versuch gewagt hätte. Wie verschieden die beiden Männer doch waren, überlegte Anne, und konnte sich nicht erklären, warum sie beide liebte. Sie versuchte Henry zu besänftigen und betete, daß seine Projekte Erfolg haben und ihn beschäftigen würden; in letzter Zeit blieb er abends sehr lang im Büro.
An einem Montag im Oktober, eine Woche nachdem sie ihren zweiten Hochzeitstag gefeiert hatten, bekam Anne die ersten Briefe von einem unbekannten »Freund«, die sie informierten, daß Henry in der Stadt in Begleitung anderer Frauen gesehen werde, insbesondere mit einer Dame, deren Namen der Schreiber nicht nennen wollte. Zuerst verbrannte Anne die Briefe sofort, und obwohl der Inhalt ihr im Kopf herumging, sprach sie mit Henry nicht darüber, sondern hoffte bei jedem Brief, es würde der letzte sein. Sie brachte nicht einmal den Mut auf, die Sache aufs Tapet zu bringen, als Henry sie um die letzten hundertfünfzigtausend Dollar bat.
»Ich verliere das ganze Geschäft, wenn ich nicht sofort das Geld bekomme, Anne.«
»Aber es ist alles, was ich besitze, Henry. Wenn ich dir das Geld gebe, bleibt mir kein roter Heller.«
»Allein dieses Haus ist über zweihunderttausend wert. Du könntest morgen eine Hypothek aufnehmen.«
»Das Haus gehört William.«
»William, William, William. Es ist immer William, der meinem Erfolg im Weg steht«, schrie Henry und stürmte aus dem Zimmer.
Kurz nach Mitternacht kehrte er reumütig nach Hause zurück und versicherte Anne, es sei ihm lieber, sie behalte ihr Geld und er ginge unter; denn wenigstens würden sie einander haben. Anne ließ sich von seinen Worten trösten und später von ihm lieben. Am nächsten Morgen stellte sie einen Scheck über hundertfünfzigtausend Dollar aus und versuchte zu vergessen, daß sie keinen Heller besaß, bis Henrys Geschäfte Früchte tragen würden. Ob es ein reiner Zufall war, daß Henry genau den Betrag verlangt hatte der von ihrer Erbschaft noch übrig war?
Im nächsten Monat blieb Annes Periode aus.
Doktor MacKenzie war besorgt, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Die Großmütter waren entsetzt und machten keinen Hehl daraus. Henry war entzückt und beteuerte, es sei das schönste, was ihm in seinem ganzen Leben widerfahren sei. Er versprach sogar, den neuen Kindertrakt zu bauen, den Richard vor seinem Tod geplant hatte.
Als William durch einen Brief seiner Mutter von der Neuigkeit erfuhr, verbrachte er einen ganzen Abend tief in Gedanken versunken und war nicht einmal imstande, Matthew zu erzählen, was ihn beschäftigte. Er bat Grumpy Raglan um Sonderurlaub, nahm am folgenden Samstagmorgen einen Zug nach Boston und hob nach seiner Ankunft hundert Dollar von seinem Sparkonto ab. Dann ging er in die Anwaltskanzlei von Cohen, Cohen and Yablons in der Jefferson Street. Der Seniorpartner, Mr. Thomas Cohen, ein großer hagerer Mann mit dunklem Teint, war ein wenig erstaunt, als man William in sein Büro führte.
»Ich wurde noch nie von einem Sechzehnjährigen konsultiert«, begann Mr.
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