Archer Jeffrey
zwingen, Beacon Hill zu verlassen, solange er mit Ihrer Mutter verheiratet ist und mit ihr lebt. Beim Tod Ihrer Mutter geht das Haus an Sie über. Sollte Mr. Osborne zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sein, können Sie verlangen, daß er auszieht. Ich glaube, damit sind alle Ihre Fragen beantwortet, Mr. Kane.«
»Danke, Mr. Cohen«, sagte William. »Ich danke Ihnen für Ihre Tüchtigkeit und für Ihre Diskretion in dieser Angelegenheit. Seien Sie so freundlich und teilen Sie mir Ihre Honorarforderung mit.«
»Hundert Dollar decken die Sache nicht zur Gänze, Mr. Kane, aber wir haben Vertrauen in Ihre Zukunft und…«
»Ich möchte niemandem verpflichtet sein, Mr. Cohen. Sie müssen mich so behandeln, als würden wir nie mehr etwas miteinander zu tun haben. Wieviel schulde ich Ihnen, so besehen?«
Mr. Cohen überlegte einen Moment. »Unter diesen Umständen würden wir zweihundertzwanzig Dollar berechnen, Mr. Kane.«
William entnahm der Innentasche seines Sakkos sechs ZwanzigDollar-Scheine und gab sie Mr. Cohen. Diesmal zählte sie der Anwalt nicht.
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Mr. Cohen. Wir werden einander bestimmt wiedersehen. Guten Tag, Sir.«
»Guten Tag, Mr. Kane. Darf ich mir erlauben zu sagen, daß ich nie die Ehre hatte, Ihren Vater persönlich kennenzulernen, aber nachdem ich mit Ihnen zu tun hatte, wünschte ich, ich hätte ihn kennengelernt.« Williams Lächeln wurde wärmer. »Danke, Sir.«
Die Vorbereitungen für das Baby nahmen Anne voll in Anspruch. Zudem stellte sie fest, daß sie leicht ermüdete und viel Ruhe brauchte. Wann immer sie Henry fragte, wie die Geschäfte gingen, hatte er eine plausible Antwort bereit, die sie in dem Glauben wiegte, daß alles zum besten stehe, ohne ihr Details mitzuteilen.
Dann kamen wieder anonyme Briefe. Diesmal enthielten sie mehr Einzelheiten, die Namen der Frauen und die Plätze, an denen sie mit Henry anzutreffen waren. Anne verbrannte die Briefe, noch bevor sie sich Namen und Orte einprägen konnte. Sie wollte nicht glauben, daß ihr Mann untreu war, während sie sein Kind trug. Jemand war eifersüchtig und hatte es auf Henry abgesehen; und dieser jemand log.
Es trafen weitere Briefe ein, manchmal mit neuen Namen. Anne verbrannte auch sie, aber jetzt konnte sie sie nicht mehr vergessen. Gern hätte sie das Problem mit jemandem besprochen, aber es fiel ihr niemand ein, dem sie sich hätte anvertrauen können. Die Großmütter wären entsetzt gewesen, und in jedem Fall waren sie gegen Henry voreingenommen. Von Alan Lloyd in der Bank konnte sie kaum Verständnis erwarten, weil er nie geheiratet hatte, und William war viel zu jung. Es schien niemanden zu geben. Nachdem Anne eine Vorlesung von Sigmund Freud gehört hatte, dachte sie kurzzeitig daran, einen Psychiater aufzusuchen. Aber daß eine Lowell ein Familienproblem mit einem Fremden besprechen könnte, war einfach unvorstellbar.
Die Angelegenheit kam letztlich in einer Weise zur Sprache, auf die Anne nicht vorbereitet war. Eines Montagmorgens erhielt sie drei Briefe; den üblichen, an Mrs. Richard Kane adressierten von William, in dem er fragte, ob er die Sommerferien wieder mit seinem Freund Matthew Lester in New York verbringen dürfe; einen anonymen Brief, der andeutete, daß Henry eine Affäre hatte mit, und zwar mit Milly Preston. Der dritte war von Alan Lloyd in seiner Eigenschaft als Präsident der Bank, der sie bat, anzurufen, um eine Zusammenkunft zu vereinbaren. Anne ließ sich in einen Stuhl fallen, fühlte sich atemlos und elend und zwang sich, die drei Briefe nochmals zu lesen. Williams Brief tat ihr weh, weil er so unpersönlich war, und es schmerzte sie zu hören, daß er es vor zog, seine Ferien mit Matthew Lester zu verbringen. Seit ihrer Heirat mit Henry hatten sich Mutter und Sohn mehr und mehr entfremdet. Der anonyme Brief mit dem Hinweis, daß Henry sie mit ihrer besten Freundin betrog, ließ sich nicht ignorieren. Milly hatte ihr nicht nur Henry vorgestellt, sie war auch Williams Taufpatin. Alan Lloyds Brief ängstigte sie irgendwie noch mehr. Der einzige Brief, den sie jemals von Alan erhalten hatte, war ein Beileidsschreiben anläßlich Richards Tod gewesen. Sie hatte das unbestimmbare Gefühl, daß auch dieser Brief nur schlechte Nachrichten ankündigen konnte.
Als sie die Bank anrief, wurde sie sofort mit Alan Lloyd verbunden. »Alan, du wolltest mich sprechen?«
»Ja, meine Liebe, ich möchte mich bei Gelegenheit mit dir unterhalten. Wann würde es dir denn
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