Archer Jeffrey
Tagen so schlecht behandelt habe. Wenn
Richard noch am Leben wäre, würde er mir nie verzeihen.« »Sei nicht kindisch, Anne. Unsere Freundschaft ist so viele Jahre
alt, daß ein solcher kleiner Zwischenfall überhaupt keine Bedeutung
hat.«
Die Wärme seiner Stimme löste ein neuerliches Schluchzen aus.
Anne stand schwankend auf.
»Ich muß gehen, Alan. Ich höre jemanden an der Eingangstür;
vielleicht ist es Henry.«
»Paß auf dich auf, Anne, und mach dir keine Sorgen über das, was
geschehen ist. Solange ich Präsident bin, wird dich die Bank immer
unterstützen. Ruf mich gleich an, wenn du mich brauchst.« Anne legte den Hörer auf. Es dröhnte ihr in den Ohren. Das Atmen
wurde immer mühsamer. Während sie zu Boden sank, verspürte sie -
beinahe hatte sie vergessen, wie das war - die ersten Wehen. Ein paar Minuten später klopfte das Stubenmädchen leise an die
Tür. Sie schaute ins Zimmer, hinter ihr stand William. Seit ihrer
Wiederverheiratung hatte er das Schlafzimmer seiner Mutter nicht
mehr betreten. Beide liefen auf Anne zu. Sie wand sich in Krämpfen
und bemerkte nicht einmal ihre Anwesenheit. Kleine Schaumspritzer
bedeckten ihre Oberlippe. In ein paar Sekunden war der Anfall
vorüber, und sie lag leise stöhnend auf dem Boden.
»Mutter«, sagte William eindringlich. »Was ist los?«
Anne öffnete die Augen und starrte ihren Sohn verwirrt an.
»Richard. Gott sei Dank, daß du hier bist. Ich brauche dich.« »Ich bin William, Mutter.«
Ihr Blick trübte sich. »Ich habe keine Kraft mehr, Richard. Ich muß
für meine Fehler bezahlen. Verzeih…«
Ihre Stimme wurde zu einem Stöhnen, als eine andere starke Wehe
einsetzte.
»Was ist los?« fragte William hilflos.
»Ich glaube, das Kind kommt«, sagte das Hausmädchen, »obwohl es
erst in ein paar Wochen kommen sollte.«
»Rufen Sie sofort Dr. MacKenzie an«, sagte William zu dem
Mädchen und lief zur Tür. »Matthew«, rief er, »komm schnell
herauf.«
Matthew eilte die Treppe hinauf und stürzte zu William ins
Schlafzimmer.
»Hilf mir, meine Mutter ins Auto zu tragen«, sagte William. Matthew kniete nieder. Die beiden Jungen hoben Anne auf und
trugen sie vorsichtig hinunter und zum Auto. Sie stöhnte und keuchte;
offensichtlich hatte sie furchtbare Schmerzen. William lief ins Haus
zurück und riß dem Mädchen den Hörer aus der Hand, während
Matthew im Auto wartete.
»Doktor MacKenzie?«
»Ja, wer spricht?«
»Ich bin William Kane, Sie werden mich nicht kennen, Sir.« »Nicht kennen, junger Mann? Ich hab dich zur Welt gebracht. Was
kann ich für dich tun?«
»Ich glaube, bei meiner Mutter haben die Wehen eingesetzt. Ich
bringe sie sofort ins Krankenhaus; wir sollten in ein paar Minuten dort
sein.«
Doktor MacKenzies Ton änderte sich. »Gut, William, mach dir
keine Sorgen. Ich werde dich erwarten, und wenn ihr kommt, wird
alles vorbereitet sein.«
»Danke, Sir.«
William zögerte. »Sie scheint eine Art Anfall zu haben. Ist das
normal?«
Der Arzt erschrak. Auch er zögerte.
»Nein, es ist nicht ganz normal. Aber sobald das Baby auf der Welt
ist, wird es ihr besser gehen. Bring sie so rasch du kannst.« William legte auf, lief aus dem Haus und sprang in den RollsRoyce. Immer im ersten Gang und ohne ein einzigesmal
stehenzubleiben, brachte er das Auto irgendwie bis zum Krankenhaus.
Die beiden Jungen trugen Anne hinein, und eine Krankenschwester
mit einer Bahre führte sie in die Geburtenabteilung. Doktor MacKenzie stand vor der Tür zu einem Operationssaal. Er bat die Jungen,
draußen zu warten.
Die Jungen saßen schweigend auf einer kleinen Bank und warteten.
Erschreckende Schreie, anders als alles, was sie je gehört hatten,
drangen aus dem Kreißsaal zu ihnen; darauf folgte eine noch
furchtbarere Stille. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte sich
William völlig hilflos. Mehr als eine Stunde saßen die beiden Jungen
dort, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Endlich erschien Doktor
MacKenzie; er war völlig erschöpft. Die Jungen standen auf, und der
Arzt schaute Matthew Lester an.
»William?« fragte er.
»Nein, Sir, ich bin Matthew Lester, das ist William.«
Der Arzt wandte sich zu William und legte eine Hand auf seine
Schulter. »Es tut mir furchtbar leid. Deine Mutter ist vor ein paar
Minuten gestorben… das Kind, ein kleines Mädchen, ist totgeboren.« Williams Beine gaben nach, und er sank auf die Bank. »Wir haben
alles getan, was in unseren Kräften stand, aber es war hoffnungslos.« Müde schüttelte er den Kopf. »Sie wollte nicht auf mich
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