Archer Jeffrey
welches Mädchen es sich handeln mochte. Als der Vorhang zur Pause fiel, fand er, dass Luke eine sehr bewegende Vorstellung abgeliefert hatte, und er spürte Stolz in sich aufsteigen, als er dem Applaus lauschte. Seine Eltern hatten das Stück schon am Abend zuvor gesehen und ihm gesagt, dass sie denselben Stolz verspürt hatten, als er damals in derselben Aula den Sebastian gegeben hatte.
Wann immer Luke von der Bühne abging, machten sich Nats Gedanken auf Wanderschaft, kehrten zurück zu dem Anruf, den er an diesem Morgen aus Washington erhalten hatte. Als seine Sekretärin ihn fragte, ob er für den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu sprechen sei, hatte er vermutet, es sei Tom, der sich einen seiner Scherze erlaubte.
Nat war unwillkürlich aufgestanden, als George Bush zu ihm durchgestellt wurde.
Der Präsident gratulierte ihm dazu, dass Fairchild Russell zur Bank des Jahres gewählt worden war – seine Ausrede für den Anruf –, dann fügte er schlicht hinzu: ›Viele Mitglieder unserer Partei hoffen, dass Sie sich der Wahl zum Gouverneur stellen werden. Sie haben viele Freunde und Anhänger in Connecticut, Nat. Ich hoffe, wir können uns bald einmal treffen.‹
Ganz Hartford wusste binnen einer Stunde, dass der Präsident angerufen hatte, aber die Telefonzentrale verfügte ja immer schon über einen eigenen Nachrichtendienst. Nat erzählte nur Su Ling und Tom davon und sie schienen überhaupt nicht überrascht.
Als er und Su Ling an diesem Abend die Aula betraten, drehten sich alle Köpfe zu ihnen um und er spürte ein Raunen, das durch den Saal lief. Unterwegs im Auto hatte er Su Ling nicht gefragt, ob er kandidieren sollte, er fragte nur: »Glaubst du, ich wäre dem Job gewachsen?«
»Der Präsident scheint das jedenfalls zu glauben«, erwiderte sie.
Als der Vorhang nach der Todesszene fiel, meinte Su Ling: »Hast du bemerkt, wie uns die Leute anstarren?« Sie schwieg kurz. »Vermutlich werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass unser Sohn ein Star ist.«
Wie schnell sie Nat wieder auf den Boden der Tatsachen bringen konnte und was für eine prachtvolle Gouverneursgattin sie abgeben würde.
Die Schauspielertruppe und deren Eltern waren beim Direktor zum Essen eingeladen, also gingen Nat und Su Ling zu seinem Haus.
»Es ist die Amme.«
»Ja, sie hat eine sehr sensible Darbietung geboten«, bestätigte Nat.
»Nein, du Dummkopf, Luke muss sich in die Amme verliebt haben«, sagte Su Ling.
»Wie kannst du da so sicher sein?«, fragte Nat.
»Als der Vorhang fiel, hielten sie sich an den Händen und ich bin sicher, das stand nicht in den Regieanweisungen von Shakespeare.«
»Tja, wir werden schon sehen, ob du Recht hast«, erwiderte Nat, als sie das Haus des Direktors betraten.
Sie fanden Luke im Flur, wo er eine Coca-Cola trank. »Hallo, Dad«, sagte er und drehte sich zu ihnen. »Das ist Kathy Marshall. Sie spielte die Amme. Und das ist meine Mutter.« Su Ling bemühte sich, nicht triumphierend zu grinsen. »War Kathy nicht fantastisch? Aber sie will ja auch Schauspiel am Sarah Lawrence College studieren.«
»Ja, sie war wunderbar. Aber du warst auch nicht schlecht«, meinte Nat. »Wir waren beide sehr stolz auf dich.«
»Haben Sie das Stück schon einmal auf der Bühne gesehen, Mr Cartwright?«, fragte Kathy.
»Ja, als Su Ling und ich in Stratford waren. Die Amme wurde von Celia Johnson gespielt, aber ich nehme nicht an, dass du schon von ihr gehört hast.«
» Begegnung « , erwiderte Kathy sofort.
»Noel Coward«, sagte Luke.
»Und Trevor Howard spielte an ihrer Seite«, ergänzte Kathy. Nat nickte seinem Sohn zu, der immer noch in seinem Kostüm steckte.
»Du bist wahrscheinlich der erste Romeo, der sich in die Amme verliebt«, scherzte Su Ling.
Kathy grinste. »Es ist sein Ödipuskomplex. Und wie hat Miss Johnson die Rolle interpretiert? Meine Schauspiellehrerin hat das Stück als Studentin mit Edith Evans gesehen und sie sagt, sie habe die Amme wie die Hausmutter an einem Internat gespielt – streng, aber liebevoll.«
»Nein«, erwiderte Su Ling, »Celia Johnson stellte sie leicht schrullig und sprunghaft dar. Aber auch liebevoll.«
»Was für ein interessanter Ansatz. Ich muss den Direktor danach fragen. Natürlich hätte ich gern die Julia gespielt, aber ich sehe einfach nicht gut genug aus«, meinte Kathy ganz sachlich.
»Aber du bist wunderschön«, rief Luke.
»Du bist in dieser Hinsicht kein glaubwürdiger Zeuge, Luke«, sagte Kathy und nahm seine Hand. »Schließlich trägst du seit dem
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