Archer Jeffrey
dachte, ich fange damit an, sie zu tragen, und dann schauen wir einfach, wie es sich entwickelt.«
»Mr Gates, ich habe zwei Regeln, die ich stets beachte: Ich gehe nicht mit einem Erstsemestler aus und ich gehe nicht mit einem Rothaarigen aus.«
»Denken Sie nicht, dass die Zeit gekommen ist, um mit beiden Regeln auf einmal zu brechen?«, schlug Jimmy vor. »Schließlich hat der Rektor uns gerade gesagt, wir sollten uns niemals vor neuen Herausforderungen fürchten.«
»Jimmy«, warf Fletcher ein, »ich denke …«
»Ah ja, das ist mein Freund Fletcher Davenport. Er ist sehr schlau. Er könnte Ihnen also beim Lesen helfen.«
»Ich denke nicht, Jimmy.«
»Und er ist auch sehr schüchtern, wie Sie sehen.«
»An Schüchternheit scheinen Sie nicht zu leiden, Mr Gates.«
»Ganz sicher nicht«, wehrte Jimmy ab. »Wie heißen Sie übrigens?«
»Joanna Palmer.«
»Dann sind Sie offenbar nicht im ersten Semester, Joanna?«, mutmaßte Jimmy.
»Nein, bin ich nicht.«
»Also sind Sie die ideale Person, um mir beizustehen.«
»An was denken Sie da?«, fragte Miss Palmer, während sie die Stufen zur Sudler Hall hinaufstiegen.
»Warum laden Sie mich heute Abend nicht zum Essen ein, dann können Sie mir alles erzählen, was ich über Yale wissen sollte«, schlug Jimmy vor, als sie vor dem Vorlesungssaal zum Stehen kamen. »He«, sagte er zu Fletcher gewandt, »sollten wir nicht sowieso hierher?«
»Ja, sollten wir. Und ich habe versucht, dich zu warnen.«
»Mich warnen? Wovor?«, fragte Jimmy, als er die Tür für Miss Palmer öffnete und ihr rasch in den Saal folgte, in der Hoffnung, sich neben sie setzen zu können. Die Studenten brachen abrupt ihre Gespräche ab, was Jimmy überraschte.
»Ich muss mich für meinen Freund entschuldigen, Miss Palmer«, flüsterte Fletcher, »aber ich darf Ihnen versichern, dass er ein Herz aus Gold besitzt.«
»Und auch die Nerven, die er dafür braucht, wie es den Anschein hat«, erwiderte Joanna. »Verraten Sie es ihm nicht, aber es hat mir ungeheuer geschmeichelt, dass er mich für eine Erstsemestlerin hielt.«
Joanna Palmer legte ihre Bücher auf das große Pult und drehte sich zu dem gefüllten Vorlesungssaal. »Die Französische Revolution ist der Wendepunkt in der modernen europäischen Geschichte«, erzählte sie dem hingerissenen Publikum. »Obwohl Amerika bereits einen Monarchen entthront hatte«, sie hielt kurz inne, »ohne ihn dafür gleich zu köpfen …« Ihr Blick schwenkte über die Sitzreihen, während ihre Studenten lachten, dann kam er auf Jimmy Gates zu ruhen. Er blinzelte ihr zu. *
Sie hielten sich an der Hand, während sie zu ihrer ersten Vorlesung über den Campus liefen. Im Verlauf der Proben zum Stück waren sie ein Paar geworden, bereits untrennbar in der Aufführungswoche. Und beide hatten ihre Unschuld in den Frühlingsferien zusammen verloren. Als Nat seiner Geliebten mitteilte, dass er nicht nach Yale, sondern zu ihr an die University of Connecticut gehen würde, empfand Rebecca Schuldgefühle, weil diese Nachricht sie so glücklich machte.
Susan und Michael Cartwright mochten Rebecca vom ersten Augenblick an und ihre Enttäuschung, dass Nat nicht sofort einen Platz in Yale bekommen hatte, wurde gelindert, weil sie ihren Sohn zum ersten Mal in seinem Leben so entspannt sahen.
Die Eröffnungsvorlesung in der Buckley Hall befasste sich mit der amerikanischen Literatur und wurde von Professor Hayman gehalten. Während der Sommerferien hatten Nat und Rebecca sämtliche Autoren auf der Lektüreliste gelesen – James, Faulkner, Hemingway, Fitzgerald und Bellow – und dann in allen Einzelheiten über Washington Square, Die Früchte des Zorns, Wem die Stunde schlägt, Der große Gatsby und Herzog diskutiert. Als sie nun an diesem Dienstagmorgen ihre Plätze im Vorlesungssaal einnahmen, waren beide zuversichtlich, gut vorbereitet zu sein. Innerhalb der wenigen Minuten, in denen Professor Hayman seine Eröffnungssalve auf sie abschoss, wurde beiden klar, dass sie wenig mehr getan hatten, als die Bücher zu lesen. Sie hatten weder die unterschiedlichen Einflüsse, die Geburt, Erziehung, Ausbildung, Religion oder bloße Umstände auf die Autoren ausgeübt hatten, einer genaueren Überlegung unterzogen, noch hatten sie der Tatsache, dass diese Gabe des Geschichtenerzählens auf keine bestimmte Gesellschaftsklasse, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit beschränkt war, einen Gedanken gewidmet.
»Nehmen Sie beispielsweise Scott Fitzgerald«, fuhr der Professor fort. »In
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