Archer Jeffrey
aufgefallen war.
Was mich beunruhigte, war, daß er mich gar nicht zu bemerken schien, er, der ständig geistesabwesend war, Morgen für Morgen mit den Gedanken, Abend für Abend mit den Augen bei Madeleine. Wie sehr ich dieses Mädchen beneidete! Sie hatte alles, was ich mir wünschte – außer einem anständigen Pelz, der das einzige ist, was meine Mutter mir vermacht hat. In Wahrheit habe ich kein Recht, gehässig über Madeleine zu reden, da ihre Vergangenheit wohl kaum trostloser gewesen sein kann als meine.
Alles das war vor mehr als einem Jahr geschehen, und um Roger meine bedingungslose Hingabe zu beweisen, hatte ich seitdem keinen Fuß mehr ins »Cat and Whistle« gesetzt. Er schien Madeleine vergessen zu haben, denn in meiner Gegenwart sprach er nicht ein einziges Mal von ihr. Und da er ein außergewöhnlicher Mann war, fragte er mich auch nicht nach meinen verflossenen Beziehungen.
Vielleicht hätte er das doch tun sollen. Ich hätte ihm gerne die Wahrheit über mein Leben, wie es war, bevor wir uns kennenlernten, erzählt, obwohl mir das alles jetzt belanglos vorkommt. Wissen Sie, ich war die Jüngste in einer vierköpfigen Familie, und daher kam ich immer als letzte dran. Meinen Vater hatte ich nie gekannt, und eines Abends, als ich nach Hause kam, mußte ich feststellen, daß meine Mutter mit einem anderen Mann durchgebrannt war. Meine Schwester Tracy riet mir, nicht mit ihrer Rückkehr zu rechnen. Seit jenem Tag habe ich meine Mutter nie wiedergesehen. Es ist schrecklich zugeben zu müssen
– wenn auch nur sich selbst gegenüber – daß die eigene Mutter ein Flittchen ist.
Nun zum Waisenkind geworden, begann ich mich treiben zu lassen, wobei ich oft versuchte, dem Gesetz immer einen Schritt voraus zu sein – gar nicht so einfach, wenn man nicht immer weiß, wo man sein müdes Haupt betten soll. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wie die Sache mit Derek – falls das sein richtiger Name war – ausging. Derek, dessen dunkle, sinnliche Erscheinung wohl jedes derartigen Reizen zugängliche weibliche Wesen angezogen haben würde, erzählte mir, er sei während der letzten drei Jahre auf einem Handelsschiff gefahren. So er mich liebte, war ich bereit, allem und jedem Glauben zu schenken. Ich erklärte ihm, daß ich nichts weiter wolle als ein warmes Zuhause, regelmäßige Mahlzeiten und beizeiten vielleicht eine eigene Familie. Er sorgte dafür, daß wenigstens einer meiner Wünsche in Erfüllung ging, denn ein paar Wochen, nachdem er mich verlassen hatte, saß ich mit Zwillingen, zwei Mädchen, da. Derek bekam sie nie zu Gesicht. Noch bevor ich ihm mitteilen konnte, daß ich schwanger sei, stach er wieder in See. Er hatte mir erst gar nicht alles Glück dieser Erde versprechen müssen, bei seinem blendenden Aussehen muß er gewußt haben, daß ich selbst für eine einzige Nacht voller Liederlichkeit die Seine geworden wäre.
Ich gab mir Mühe, die Mädchen anständig zu erziehen, aber die Obrigkeit machte mir diesmal einen Strich durch die Rechnung, und so verlor ich sie alle beide. Wo sie jetzt wohl sein mögen? Das weiß nur der liebe Gott. Ich hoffe lediglich, daß sie ein gutes Zuhause gefunden haben. Wenigstens haben sie Dereks unwiderstehliches Aussehen geerbt, was ihnen auf ihrem Lebensweg nur helfen kann. Das ist nur ein weiteres Detail aus meinem Leben, von dem Roger nie erfahren wird. Durch sein blindes Vertrauen fühle ich mich nur noch schuldiger und jetzt hat es ganz den Anschein, als würde sich nie mehr eine Möglichkeit finden, ihm die Wahrheit zu sagen.
Nachdem Derek wieder in See gestochen war, blieb ich fast ein Jahr lang allein, bis ich einen Halbtagsjob im »Cat and Whistle« bekam. Der Wirt war ein Geizkragen; nicht einmal für mein Essen und Trinken würde er gesorgt haben, wenn ich mich nicht an meinen Teil unserer Abmachung gehalten hätte.
Bevor Roger die Blondine mit dem schäbigen Pelzmantel kennenlernte, kam er gewöhnlich einmal, vielleicht zweimal wöchentlich herein. Danach geschah dies jeden Abend, bis sie plötzlich aufstand und ihn sitzenließ.
Als er zum erstenmal ein pint of mild bestellte, wußte ich gleich, daß er für mich der Richtige war. Pint of mild – kein Bier konnte Roger treffender beschreiben. In der ersten Zeit flirteten die Bardamen ganz offen mit ihm, doch zeigte er daran keinerlei Interesse. Bevor Madeleine sich an ihn ranmachte, war ich nicht einmal sicher gewesen, ob er überhaupt Frauen bevorzugte. Vielleicht war es am Ende mein
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