Archer Jeffrey
den Ausgang verschwinden. Wenige Augenblicke später schlug eine Tür zu. Der Putzmann hatte sein Tagewerk beendet.
Adam wartete noch ein Weilchen, ehe er aufstand und sich streckte. Er schlich an der Wand entlang, drückte sich in die Ecken, erreichte schließlich die kleine Tür an der Wand gegenüber, zog sie auf, nahm den langen braunen Mantel vom Nagel und hastete zu seinem Versteck hinter dem geparkten Wagen zurück, als das erste Auto des Tages einfuhr. Adam duckte sich. Der Fahrer war so schwungvoll und gekonnt am anderen Ende der Garage eingebogen, daß es sich nur um eine täglich geübte Routine handeln konnte. Heraus sprang ein kleiner adretter Herr in einem eleganten Nadelstreifanzug, ein bleistiftdünnes Schnurrbärtchen über den Lippen, in der Hand eine Aktenmappe, der nach dem Zusperren seines Wagens mit schnellen Schritten dem Ausgang zustrebte. Adam wartete, bis die schwere Tür erneut ins Schloß fiel, stand auf und probierte den braunen Mantel über seinem Blazer an. Er war ihm an den Schultern ein wenig eng und zu kurz an den Armen, aber in dieser Aufmachung mußte Adam zumindest den Eindruck erwecken, als arbeite er hier in der Garage. Innerhalb der nächsten Stunde wurden etliche Autos im Kellergeschoß abgestellt, deren Besitzer, wie Adam verärgert feststellen mußte, die Wagentüren sorgsam versperrten, ehe sie mitsamt den Schlüsseln verschwanden.
In der Ferne schlug es zehn Uhr. Es hatte keinen Sinn, hier noch länger herumzuhängen. Adam kroch also hinter dem Wagen hervor und durchquerte den Garagenraum zum Ausgang hin, als plötzlich ein Rover mit englischem Kennzeichen um die Ecke bog; beinah hätten ihn die Scheinwerfer geblendet. Adam sprang zur Seite, um den Wagen vorbeizulassen, doch der Wagen blieb quietschend neben ihm stehen, und der Fahrer kurbelte das Fenster herunter.
»Hier – parken – erlaubt?« fragte er unbeholfen mit englischem Akzent auf französisch.
» Qui, monsieur « , erwiderte Adam.
»Andere Etagen – überall Schilder – privé « , fuhr der Mann langsam fort, als habe er es mit einem Vollidioten zu tun. »Irgendwo parken?« Er zog mit seinem Arm einen großen Kreis.
» Qui « , antwortete Adam. »Abörr isch muß für Ihnönn einparkönn«, fügte er hinzu, wobei er sich bemühte, nicht allzusehr wie der Komiker Peter Sellers zu klingen.
Er erwartete irgendeine Unhöflichkeit als Antwort, doch der Mann sagte: »Schön!«, stieg aus und reichte Adam die Autoschlüssel sowie einen Zehn-Francs-Schein.
» Merci! « Adam tippte mit der Hand an eine imaginäre Bedienstetenkappe und steckte das Geld ein. » Quelle – heure – vous – retournez?- Wann Sie kommen zurück?« fragte er genauso dümmlich wie vorhin der Engländer.
»In längstens einer Stunde!« rief der Mann und verschwand hinter der Tür. Adam wartete einige Minuten neben dem Wagen, aber der Engländer kehrte nicht zurück. Er öffnete die Beifahrertür, ließ seinen Proviant auf den Vordersitz fallen, ging um das Auto herum, stieg auf der Fahrerseite ein, startete
– die Benzinuhr zeigte einen etwas mehr als halbvollen Tank an. Adam brachte den Motor auf Touren, fuhr die Rampe hinauf, erreichte das Erdgeschoß, wo ihn eine Sperre am Weiterfahren hinderte, die er mit einem Zwei-Francs-Stück hochbringen mußte – die Dame im Wagen hinter ihm wechselte ihm, wenn auch widerwillig, seinen Zehn-FrancsSchein; ihr wurde rasch klar, daß sie sonst selber nicht hinauskam.
Adam fuhr zügig auf die Straße hinaus und suchte nach einem Wegweiser mit der Aufschrift Toutes directions. Danach hatte er die Stadt innerhalb weniger Minuten hinter sich gebracht und fuhr auf der N6 Richtung Paris.
Adam blieben bestenfalls zwei Stunden – dann wäre der Autodiebstahl mit Sicherheit der Polizei gemeldet worden. Er wußte, daß er genügend Benzin hatte, um bis Paris zu kommen, aber er wußte auch, daß es bis Calais nicht reichen würde. Adam hielt sich fast während der ganzen Fahrt auf der Hauptspur der N6, und er achtete darauf, daß der Tachometer stets fünf Stundenkilometer unter der Geschwindigkeitsbegrenzung blieb. Nach der ersten Stunde hatte er beinah neunzig Kilometer hinter sich gebracht.
Er öffnete die Tüte, die ihm die Bäuerin mitgegeben hatte, und nahm einen Apfel und ein Stück Käse heraus. Seine Gedanken wanderten – wie so oft in den vergangenen beiden Tagen – zu Heidi.
Hätte er den Brief doch nie geöffnet!
Nach einer Stunde sah er ihn, wenige hundert Meter von der Hauptstraße
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