Archer Jeffrey
Schläge in der Minute. Sechzig Sekunden später war der Pulsschlag herunter auf hundert, nach weiteren sechzig Sekunden auf siebzig, und bevor die vierte Minute verstrichen war, pochte der Puls schon wieder gleichmäßig mit achtundfünfzig Schlägen pro Minute. An der Erholungszeit – wie hatte ihm doch sein alter MilitärTrainer in der Kaserne von Aldershot eingebleut? Die Kondition läßt sich nicht an der Laufzeit abmessen. Wie fit man ist, erkennt man daran, wie rasch der Pulsschlag sich wieder normalisiert.
Im Flur, auf dem Gang zu seinem Zimmer, war von Carolyn nichts zu hören und zu sehen. Lawrence, ausgesprochen elegant in einem grauen Nadelstreifanzug, machte sich eben in der Küche das Frühstück und überflog unterdessen die Sportseite des Daily Telegraph.
»Fünfhundertsechsundzwanzig Punkte für die West Indies«, informierte er Adam mit trostloser Miene.
»Waren unsere Leute schon am Schlag?« rief Adam aus dem
Badezimmer.
»Nein. Zu schlechte Lichtverhältnisse. Das Cricket-Spiel
wurde abgebrochen.«
Adam stöhnte beim Ausziehen zum Duschen. Sein
allmorgendliches Ratespiel: Wie lange hielt er es unter dem
eisigen Wasser aus? Die achtundvierzig nadeldünnen, kalten
Strahlen brannten auf Brust und Rücken, daß er mehrmals
heftig nach Luft schnappen mußte. Wer die ersten dreißig Sekunden durchsteht, hält es ewig aus, hatte der Militärsportlehrer versichert. Drei Minuten später trat Adam aus der Duschkabine. Er war mit sich zufrieden. Trotzdem verwünschte er seinen Trainer, weil er das Gefühl hatte, daß er wohl nie mehr von seinem Einfluß loskommen würde.
Er rieb sich trocken, kehrte auf sein Zimmer zurück, warf sich den Morgenmantel über und gesellte sich zum Frühstück zu seinem Freund in die Küche, wo Lawrence am Küchentisch eine Schüssel Cornflakes zu leeren versuchte, während er gleichzeitig mit dem Zeigefinger in der Financial Times die Kolumne mit den ausländischen Wechselkursen entlangfuhr.
Adam blickte auf die Uhr: schon zehn nach acht. »Wirst du nicht zu spät im Büro sein?« fragte er.
»Mein lieber Junge«, entgegnete Lawrence, »ich bin doch kein Dienstmann in einer Bank, wo die Kunden sich an Geschäftszeiten halten.«
Adam lachte.
»Na ja, um halb zehn sollte ich schon hübsch brav an meinem Schreibtisch in der City sitzen«, räumte Lawrence ein. »Und es wäre heutzutage zwecklos, mir einen Chauffeur zu schicken«, erklärte er. »Ich habe den Herrschaften zu verstehen gegeben, daß man bei dem Verkehr mit der U-Bahn schneller ist.«
Adam begann sein eigenes Frühstück vorzubereiten.
»Ich könnte dich mit dem Motorrad hinbringen.«
»Stell dir mal vor, wie es aussähe, wenn ein Mann in meiner Position auf einem Motorrad vor dem Hauptsitz von Barclays Bank vorfährt! Der Bankpräsident würde vor Wut toben«, fügte er hinzu, während er die Financial Times zusammenfaltete.
Adam schlug ein zweites Ei in die Bratpfanne.
»Ich sehe dich also am Abend wieder, ruhmreich, verlottert und arbeitslos«, sagte Lawrence gutmütig spöttelnd, als er seinen zusammengerollten Schirm vom Hutständer holte.
Adam räumte das Geschirr ab, spülte es; er konnte sich wenigstens im Haushalt nützlich machen, solange er arbeitslos war. Obwohl ihn über viele Jahre ein Offiziersbursche bedient hatte, machte ihm das keine Mühe. Da er bis zum Anstellungsgespräch mit dem Foreign Office sonst nichts vorhatte, wollte er sich vor dem Rasieren noch genüßlich in die Badewanne setzen, als ihm plötzlich Reichsmarschall Göring einfiel, dessen Brief noch immer auf dem Tisch in seinem Zimmer lag.
»Haben Sie irgendeinen Hinweis gefunden, daß Göring die Ikone vielleicht für sich behalten hat?« fragte Romanow hoffnungsvoll die junge Wissenschaftlerin.
»Nur Dinge, die ohnehin auf der Hand liegen«, antwortete Anna Petrowa lässig.
Romanow wollte die junge Frau schon für diese Unverschämtheit zurechtweisen, entschloß sich dann aber dieses eine Mal zur Nachsichtigkeit. Die Genossin Petrowa hatte sich immerhin als die absolut tüchtigste und findigste Kraft seines Forschungsteams bewährt.
»Und die wären?« erkundigte sich Romanow.
»Es ist allgemein bekannt, daß Hitler Göring die Aufsicht über sämtliche erbeuteten Kunstwerke des Dritten Reichs übertrug. Da der Führer jedoch enge Ansichten von Qualität hatte, wurden viele dieser Meisterwerke als ›entartet‹ abklassifiziert; sie waren es seiner Meinung zufolge nicht wert, zur Erbauung der Herrenrasse öffentlich
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