Archer Jeffrey
Wissenschaftler dick mit roter Tinte unterstrichen: »Allem Anschein nach hat der Zar das Original durch eine Kopie ersetzen lassen, nachdem er die echte Ikone seinem Schwager, dem Großherzog, zur Aufbewahrung übergeben hatte.«
»Aber warum«, fragte Romanow, »hat der Zar, der doch einen Palast voller Goyas, El Grecos, Tizians und Rubens hatte, sich die Mühe gemacht, eine einzige kleine Ikone hinauszuschmuggeln? Und warum will Breschnew sie so dringend zurückhaben?«
Romanow wies den Professor und seine Mitarbeiter an, ihre Bemühungen auf das großherzogliche Haus von Hessen zu konzentrieren, um so vielleicht herausfinden zu können, was später mit der Ikone geschehen war. Innerhalb von zehn Tagen besaßen die Wissenschaftler über den Großherzog und seine Familie an Information mehr, als jeder Professor an jeder beliebigen Universität in einem ganzen Leben hätte sammeln können. Jede einzelne Akte landete auf Romanows Schreibtisch; er arbeitete ganze Nächte durch, um jeden noch so kleinen Fetzen Information unter die Lupe zu nehmen, der ihn eventuell auf die Spur der echten Ikone führen konnte. Doch sämtliche Spuren endeten in einer Sackgasse: Nach dem Tod des Großherzogs war das Bild in den Besitz seines Sohnes übergegangen, der bei einem Flugzeugabsturz tragisch ums Leben kam, und danach war von der Ikone nie mehr etwas gehört oder gesehen worden.
Mit der dritten Woche seiner Nachforschungen kam Romanow widerstrebend zu der Erkenntnis, daß über die Ikone nichts Neues mehr in Erfahrung zu bringen sei. Er bereitete eben seinen Schlußbericht für den Vorsitzenden des KGB vor, als ein Mitglied des Forschungsteams, Genossin Petrowa – eine Wissenschaftlerin, die offenbar nicht in Rastern zu denken pflegte –, über einen Artikel der Londoner Times vom Mittwoch, dem 17. November 1937, stolperte. Anna Petrowa umging den Forschungsleiter und ließ die Fotokopie des Zeitungsausschnitts direkt zu Romanow bringen; und Romanow las den Artikel während der nächsten Stunden so oft, daß er den Text schließlich auswendig konnte.
Der Artikel, deren Verfasser nach guter alter Times -Tradition anonym blieb, hatte folgenden Wortlaut:
Ostende, 16. November 1937
Der Großherzog von Hessen und vier Mitglieder seiner Familie kamen heute morgen tragisch ums Leben, als ein Flugzeug der Sabena auf dem Flug von Frankfurt nach London im dichten Nebel über belgischem Gebiet abstürzte.
Der Großherzog befand sich auf dem Weg nach England, um der Vermählung seines jüngeren Bruders, Prinz Louis, mit der Ehrenwerten Joanna Geddes beizuwohnen. Der junge Prinz wartete am Croydon Airport, um seine Angehörigen zu begrüßen, als ihm die traurige Nachricht überbracht wurde. Der Prinz hat seine Hochzeit abgesagt und angekündigt, die Trauung werde zu einem späteren Zeitpunkt in kleinem Kreis in der Kapelle von Windsor stattfinden.
Weiter unten hieß es:
Prinz Louis, der seinem Bruder als Großherzog von Hessen nachfolgt, wird noch heute mit seiner Braut nach Ostende reisen, um die fünf Särge auf ihrer Reise zurück nach Deutschland zu begleiten. Die Begräbnisfeierlichkeiten werden am 23. November in Darmstadt stattfinden.
Den nächsten Absatz aber hatte Anna Petrowa dick umrandet: Einige der persönlichen Habseligkeiten des Großherzogs,
einschließlich mehrerer Hochzeitsgeschenke für Prinz Louis
und seine Braut, wurden meilenweit um die Absturzstelle des
Flugzeugs verstreut. Die deutsche Regierung hat heute vormittag mitgeteilt, daß ein hochrangiger deutscher General mit der Leitung einer Suchaktion betraut wurde, um die Bergung aller Familienbesitztümer zu gewährleisten, die dem Nachfolger des Großherzogs gehören.
Romanow ließ die junge Wissenschaftlerin zu sich rufen. Als Anna Petrowa wenige Minuten später eintrat, war ihr nicht anzumerken, wie überwältigt sie von ihrem gegenwärtigen Chef war. Daß es ihr schwerfallen würde, in den Kleidern, die sie sich leisten konnte, Eindruck auf ihn zu machen, war ihr sofort klar, auch wenn sie ihre hübschesten Sachen trug und die Frisur, die sie bei einer amerikanischen Schauspielerin namens Mia Farrow in einem der wenigen amerikanischen Filme gesehen hatte, die von der Zensur freigegeben worden waren. Sie hoffte, daß Romanow es merken würde.
»Bitte forsten Sie alle Ausgaben der Times vom 17. November 1937 bis zum 16 . Mai 1938 durch. Und falls Sie auf etwas stoßen, aus dem hervorgehen könnte, was die Bergungsmannschaft gefunden hat, überprüfen Sie auch
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