Archer Jeffrey
unerklärlich«, bestätigte Romanow.
»Sie haben jedoch den Vorfall unverzüglich dem Genossen Melinski an der Botschaft gemeldet.« Er machte eine Pause. »Sie haben Anna Petrowa selbst ausgewählt, nicht wahr?«
»Das ist richtig, Genosse Vorsitzender.«
»Haben Sie mit der Wahl der Genossin nicht einen gewissen Mangel an Urteilskraft bewiesen?«
Romanow versuchte nicht einmal zu antworten.
Der Vorsitzende warf einen weiteren Blick in die Akte. »Als Sie am nächsten Morgen aufwachten, gab es noch immer keinen Hinweis auf den Verbleib der jungen Frau?«
»Sie erschien auch nicht, wie verabredet, zum Frühstück«, erklärte Romanow. »Und als ich ihr Zimmer betrat, waren ihre Sachen verschwunden.«
»Weshalb Sie davon überzeugt waren, Sie sei übergelaufen.«
»Jawohl, Genosse Vorsitzender.«
»Die Schweizer Polizei«, fuhr Zaborski fort, »kann aber keine Spur von ihr entdecken. Ich frage mich daher die ganze Zeit, warum sie abgesprungen sein sollte? Ihr Mann und ihre nächsten Familienangehörigen leben in Moskau. Allesamt Staatsangestellte, und dieser Ausflug mit Ihnen war keineswegs Anna Petrowas erste Reise in den Westen.«
Romanow gab noch immer keine Stellungnahme ab.
»Vielleicht ist Anna Petrowa deshalb verschwunden, weil sie uns etwas hätte sagen können – etwas, das Sie uns nicht wissen lassen wollten.«
Romanow antwortete noch immer nicht.
Der Blick des Vorsitzenden wanderte von neuem zu der Akte.
»Ich frage mich nur, was die kleine Petrowa uns wohl sagen wollte? Vielleicht wollte sie uns sagen, mit wem Sie noch geschlafen haben?«
Ein kalter Schauer lief Romanow den Rücken hinunter, als er sich fragte, wieviel Zaborski tatsächlich wußte. Der KGBVorsitzende legte eine Pause ein und tat so, als prüfe er noch etwas in der Akte nach. »Vielleicht hätte sie uns sagen können, weshalb Sie es für angebracht hielten, Bischoff et Cie. ein zweites Mal aufzusuchen.« Zaborski legte eine Pause ein. »Ich werde wohl eine Untersuchung über das rätselhafte Verschwinden der Genossin Petrowa einleiten müssen. Denn, Genosse Romanow: Spätestens als Sie die Bank zum drittenmal aufsuchten«, fuhr der Vorsitzende nach einer kurzen Unterbrechung fort, und seine Stimme wurde nun mit jedem Wort lauter, »spätestens dann wußte jeder zweitklassige Agent von Moskau bis Istanbul, daß wir hinter etwas her waren.«
Er verstummte neuerlich. Romanow bemühte sich noch immer verzweifelt herauszufinden, ob Zaborski irgendwelche Beweise hatte. Eine Zeitlang sprach keiner der beiden Männer. »Sie sind immer ein Einzelgänger gewesen, Major Romanow, und ich will auch gar nicht leugnen, daß die Resultate, die Sie erbrachten, es mir gestatteten, gewisse Indiskretionen zu übersehen. Aber ich bin kein Einzelgänger, Genosse! Ich bin ein Schreibtischmensch, und ich verfüge nicht über die gleiche Aktionsfreiheit wie Sie.«
Er spielte mit einem dem Raumschiff Luna 9 nachgebildeten Briefbeschwerer, der vor ihm auf dem Tisch lag.
»Ich bin ein Aktenmensch, ein Büromensch. Ich verfasse Berichte in dreifacher Ausfertigung. Ich beantworte Anfragen in vierfacher Ausfertigung. Ich begründe Entscheidungen in fünffacher Ausfertigung. Und jetzt werde ich dem Politbüro die Umstände von Anna Petrowas seltsamem Verschwinden in 14facher Ausfertigung erklären müssen.«
Romanow blieb stumm; der KGB hatte Jahre gebraucht, um ihm diese elementare Verhaltensmaßregel einzutrichtern. Allmählich gelangte er zu der Überzeugung, daß Zaborski bluffte und sich nur auf Vermutungen stützte. Denn hätte er die Wahrheit geahnt, wäre dieses Gespräch im Keller erfolgt, wo die Vernehmungen mit wesentlich weniger intellektuellen Methoden stattfanden.
»In der UdSSR«, fuhr Zaborski fort, während er plötzlich aufstand, »werden verdächtige Todesfälle« – er legte erneut eine Pause ein – »oder das Abspringen von Genossen genauer untersucht als in jedem anderen Land, auch wenn dies nicht jenem Bild entspricht, das sich der Westen von uns macht. Sie, Genosse Romanow, hätten es in dem Beruf, den Sie sich aussuchten, wesentlich einfacher gehabt, wären Sie in Afrika, Südamerika oder meinetwegen in Los Angeles geboren worden.«
Noch immer wagte es Romanow nicht, irgendeine Meinung zu äußern.
»Der Generalsekretär hat mir heute um ein Uhr morgens mitgeteilt, daß er von Ihren jüngsten Untersuchungen nicht eben beeindruckt ist – nicht im geringsten beeindruckt, um ihn genau zu zitieren, und das umso weniger, als der Beginn Ihrer
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