Archer Jeffrey
Überholspur, der mit aufgeblendeten Scheinwerfern und wesentlich rascher als erlaubt unterwegs war. Er war überzeugt, daß der Volkswagen den Mercedes einholen konnte, vor allem, wenn es sich um einen Diesel handelte. Meter für Meter verkürzte Adam den Abstand zu dem Mercedes, während er krampfhaft darüber nachdachte, warum der alte Mann Heidi überhaupt gekidnappt hatte. War es tatsächlich Rosenbaum? Aber Rosenbaum war doch damit einverstanden gewesen, daß er – Adam – die Ikone behielt; zumindest hatte der Bankier dies behauptet! Es ergab alles keinen Sinn, und Adam fragte sich, ob das alles nicht nur ein häßlicher Traum war, aus dem er gleich erwachen würde.
Als er die Peripherie der Stadt erreichte, war aus dem Traum noch immer nicht Wirklichkeit geworden: immer noch folgte Adam der Route, die das Taxi eingeschlagen hatte. Beim nächsten Kreisverkehr lagen nur mehr drei Wagen zwischen dem VW und dem Mercedes. Eine rote Ampel, eine rote Ampel muß her! hämmerte es Adam im Gehirn, doch die ersten drei Ampeln auf dem Weg ins Zentrum blieben hartnäckig grün. Und als endlich eine auf Rot wechselte, bremste plötzlich ein Lieferwagen vor dem VW, und der Abstand vergrößerte sich von neuem. Adam fluchte; er sprang aus dem Wagen und rannte auf das Taxi zu, doch die Ampel sprang wieder auf Grün, bevor er sie erreichte, und der Mercedes brauste davon. Voller Haß sprintete er zum Volkswagen zurück und brachte ihn eben noch über die Kreuzung, bevor die Ampel wieder rot wurde. Sein Entschluß, den Wagen zu verlassen, hatte ihn wertvolle Sekunden gekostet, und als er nun voller Sorge nach vorne blickte, konnte er das Taxi nur noch weit in der Ferne ausmachen.
Als die beiden Wagen die Avenue de France erreichten, die parallel zur Westseite des Sees verläuft, hatten sie auf den dichten Verkehr zu achten. Plötzlich bog der Mercedes links ab und fuhr eine kleine Anhöhe hinauf. Adam riß das Lenkrad herum und jagte ein paar Meter auf der falschen Straßenseite weiter. Nur mit knapper Not entging er dem Zusammenstoß mit einem Lieferwagen der Post, der in wildem Zickzack auf ihn zukam. Als das Taxi erneut nach links abbog, paßte Adam höllisch auf, um ja nicht abgehängt zu werden und bog so knapp neben einem Bus ein, daß der Fahrer voll auf die Bremsen steigen mußte. Einige Passagiere, die von ihren Sitzen gerissen wurden, drohten Adam mit den Fäusten, und die Bushupe plärrte.
Das Taxi war nur mehr wenige hundert Meter vor ihm. Wieder holte Adam ein wenig an Boden auf, dann schlitterte der Mercedes plötzlich zum Straßenrand hin und kam quietschend zum Stehen. In den folgenden wenigen Sekunden, in denen Adam auf das Taxi zupreschte, schien sich nichts zu ereignen. Genau hinter dem Mercedes bremste Adam den VW so hart ab, daß er ins Schleudern kam. Dann hechelte er aus dem Auto und spurtete auf das Taxi zu. Doch mit einem Mal sprang der alte Mann auf der anderen Seite des Mercedes auf die Fahrbahn und rannte eine Seitenstraße hinauf; in der einen Hand Heidis Einkaufstüte, in der anderen einen kleinen Koffer.
Adam riß die hintere Wagentür auf und starrte auf das schöne Mädchen, welches regungslos dasaß. »Geht’s dir gut?« schrie er, da er plötzlich erkannte, wieviel sie ihm bedeutete. Heidi aber gab keine Antwort. Adam legte seine Arme um ihre Schultern und sah ihr in die Augen – keine Reaktion. Behutsam strich er ihr über das Haar, und in diesem Augenblick fiel ihr Kopf schlaff auf seine Schulter, als wäre sie eine Stoffpuppe. Aus ihrem Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden. Adam überlief es kalt. Übelkeit stieg in ihm hoch; er begann am ganzen Leib zu zittern. Er blickte nach vorn zu dem Taxifahrer, einem Mann mittleren Alters. Seine Arme hingen kraftlos herunter, der Oberkörper war über das Lenkrad gesunken. Auch er gab kein Lebenszeichen mehr von sich.
Es dauerte eine Weile, bis Adam zur Kenntnis nahm, daß beide tot waren. Er hielt Heidi noch immer in den Armen, und als er über sie aus dem Wagen hinausschaute, bemerkte er, daß der alte Mann die Anhöhe erreicht hatte. Glaubte er immer noch, daß dieser Mann wirklich alt war? Er war offensichtlich ganz und gar nicht alt, sondern jung und optimal durchtrainiert. Plötzlich verwandelte sich Adams Angst in abgrundtiefen Haß. Er ließ Heidi los, sprang aus dem Auto und begann den Hügel hinaufzulaufen, hinter dem Mörder her. Zwei oder drei Passanten hatten sich bereits am Straßenrand eingefunden und gafften Adam sowie die
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