Archer Jeffrey
stolperten.
Er versuchte sich auf dem Platz der Freiheit durch das Gewi mmel in Richtung Podium zu drangen. Er konnte sich vorstellen, daß der Polizeichef sich nichts sehnlicher wünschte als ein Gewitter, aber es war ein typischer Wintertag in St. Petersburg – beißend kalt und klar. Connor warf einen Blick auf die mit Seilen abgetrennte Pressetribüne, die inzwischen ziemlich gut besetzt war. Als er Mitchell an seinem üblichen Posten unweit von dem Platz entdeckte, auf dem Connor selbst normalerweise saß, lächelte er.
Nicht heute, mein Freund! Wenigstens trug der junge Mann jetzt einen Wintermantel und eine Pelzmütze.
»Gut Tag für Taschendieb«, bemerkte Sergej, der den Blick über die Menge schweifen ließ.
»Glaubst du wirklich, daß sie bei so vielen Polizisten ihrem
Handwerk nachgehen?« zweifelte Jackson.
»Polizei immer da, wo nicht brauchen«, erklärte Sergej philoso
phisch. »Jetzt schon Knackis mit fremden Geldbörsen gesehen,
aber Bullen scheinen nicht interessieren.«
»Bestimmt hat die Polizei genug andere Probleme bei einer solchen Menschenmenge. Wahrscheinlich sind es jetzt schon hunderttausend Leute. Außerdem müßte Zerimskij jeden Moment erscheinen.«
Sergejs Blicke blieben auf dem Polizeichef haften. »Wo ist er?«
fragte Boltschenkow einen Polizeisergeanten mit Walkie-talkie. »Er hat die Besprechung bei Borodin vor achtzehn Minuten verlassen und fährt soeben durch die Preyti-Straße. Er dürfte in sieben
Minuten hier sein.«
Boltschenkow blickte auf die Uhr. »Dann beginnt unser Problem
also in sieben Minuten.«
»Halten Sie es nicht für möglich, daß der Mann versuchen wird,
auf Zerimskij zu schießen, während er in der Limousine sitzt?« »Nein, völlig undenkbar«, antwortete der Polizeichef. »Wir haben es hier mit einem Profi zu tun. Er würde gar nicht in Betracht
ziehen, auf ein bewegtes Ziel zu schießen. Erst recht nicht, wenn
dieses Ziel in einem gepanzerten Wagen sitzt. Er könnte nicht mal
sicher sein, in welchem Wagen Zerimskij sich befindet. Nein«,
wiederholte er, »unser Mann ist irgendwo da draußen in der Menge. Das spüre ich in meinen Knochen. Als er das letzte Mal so
etwas in Szene setzte, war sein Opfer eine stehende Zielscheibe im
Freien. In so einem Fall ist es fast unmöglich, einen Falschen zu
treffen, und in einer großen Menschenmenge hat man eine bessere
Chance zu entkommen.«
Connor arbeitete sich immer noch langsam ans Podest heran.
Dabei schaute er sich in der Menge um und bemerkte einige weitere Polizisten in Zivil. Zerimskij störte es sicher nicht. Ihn interessierte wohl nur, daß er einen noch größeren Zulauf hatte als
Tschernopow.
Connor blickte zu den Dächern. Von dort beobachteten etwa ein
Dutzend Scharfschützen die Menge mit Feldstechern. Würden sie
knallgelbe Jogginganzüge tragen, könnten sie nicht viel auffälliger
sein, dachte er. Um den Platz herum standen mindestens zweihundert uniformierte Polizisten in Bereitschaft. Boltschenkow hielt
offenbar viel von Abschreckung.
An den Fenstern der Gebäude ringsum drängten sich Büroangestellte, um soviel wie möglich von dem sehen zu können, was sich
unter ihnen auf dem Platz tat. Wieder warf Connor einen Blick auf
die mit Seilen abgetrennte Pressetribüne. Es fehlten offenbar nicht
mehr viele der ausländischen Journalisten. Die Polizei überprüfte
ihre Ausweise peinlichst genau – das war nicht ungewöhnlich,
wohl aber, daß sie einige Presseleute baten, ihre Kopfbedeckung
abzunehmen.
Connor beobachtete sie kurz. Alle, die ihre Hüte und Mützen
abnehmen mußten, hatten etwas gemein: Sie waren männlichen
Geschlechts und hochgewachsen. Das gab Connor zu denken, und
er blieb kurz stehen. In diesem Moment sah er aus den Augenwi nkeln Mitchell, der nur ein paar Schritte von ihm entfernt in der
Menge stand. Connor runzelte die Stirn. Wie hatte der junge Agent
ihn erkannt?
Plötzlich, übergangslos, erschallte ein lautes Tosen hinter ihm,
als wäre ein Rockstar auf der Bühne erschienen. Connor drehte
sich um und beobachtete, wie Zerimskijs Wagenkorso langsam um
drei Seiten des Platzes fuhr und schließlich an der Nordwestecke
zum Stehen kam.
Die Menge applaudierte frenetisch, obwohl sie den Kandidaten
unmöglich sehen konnte, da die Scheiben sämtlicher Wagen verdunkelt waren. Die Türen der Limousinen wurden geöffnet, aber
es war nicht festzustellen, ob Zerimskij sich unter den Personen befand, die ausgestiegen waren, da zahllose stämmige Leibwächter
die Sicht
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