Archer Jeffrey
hinunter getrieben, wo in größeren Abständen trübe Petroleumfunzeln an den Wänden hingen und für schummriges Licht sorgten. Sie kamen an überfüllten Zellen vorbei. Schreie und flehentliche Bitten drangen in so vielen verschiedenen Sprachen an Lubjis Ohr, daß er es gar nicht wagte, sich umzuschauen. Plötzlich wurde die Tür einer Zelle aufgerissen; jemand packte Lubji am Kragen und beförderte ihn kopfüber hinein. Er wäre auf dem Steinboden aufgeschlagen, wäre in der Zelle Platz genug gewesen; statt dessen landete er auf mehreren Leibern.
Einen Augenblick lag er still; dann plagte er sich hoch und versuchte, irgend etwas zu erkennen. Doch da es nur ein sehr kleines, vergittertes Fenster gab, dauerte es eine Zeitlang, bis er einzelne Gesichter ausmachen konnte.
Ein Rabbi leierte einen Psalm herunter, doch offenbar nahmen nur wenige Gefangene Notiz davon. Lubji versuchte auszuweichen, als ein älterer Mann, der direkt vor ihm stand, sich übergab. Er wich vor dem Gestank zurück. Dabei prallte er gegen einen Gefangenen mit heruntergezogener Hose. Dann setzte er sich in eine Ecke, mit dem Rücken zur Wand – so konnte niemand ihn überraschen.
Als die Tür wieder aufschwang, hatte Lubji keine Ahnung, wie lange er sich schon in diesem pestartig stinkenden Verlies befand. Drei Soldaten mit Stablampen traten ein und leuchteten den Gefangenen in die Augen. Blinzelten die Augen nicht mehr, wurde der Betreffende hinaus auf den Korridor gezerrt und nie wieder gesehen. Es war das letzte Mal, daß Lubji Herrn Cerani sah.
Die Tage ließen sich nur daran abzählen, daß Licht und Dunkelheit sich vor dem winzigen Gitterfenster ablösten, sowie an der einen Mahlzeit, die jeden Morgen in einer Schüssel für sämtliche Gefangenen in die Zelle geschoben wurde. Alle paar Stunden kamen die Soldaten, um weitere Leichen hinauszuzerren, bis sie sicher sein konnten, daß nur die Zähesten überlebten.
Lubji vermutete, daß auch er über kurz oder lang sterben würde; dies war offenbar die einzige Möglichkeit, aus der engen Zelle hinauszukommen. Mit jedem Tag schlotterte sein Anzug weiter um seinen Körper, und Loch um Loch mußte er seinen Gürtel enger schnallen.
Dann, eines Morgens, stürmte urplötzlich eine Gruppe Soldaten in die Zelle. Sie zerrten die noch Lebenden hinaus. Man befahl ihnen, den Korridor entlangzumarschieren und die schmale Steintreppe zum Hof hinaufzusteigen. Als Lubji hinaus in die Sonne trat, mußte er die Hand schützend vor die Augen legen. Er hatte etwa zehn, fünfzehn, vielleicht sogar zwanzig Tage in diesem Verlies zugebracht, und seine Augen waren zu »Katzenaugen« geworden, wie die Gefangenen es nannten.
Und da hörte er das Hämmern. Er drehte den Kopf und sah mehrere Gefangene einen Galgen errichten; vom Balken hingen acht Schlingen herunter. Wäre Lubjis Magen nicht leer gewesen, hätte er sich übergeben. Ein Soldat stieß ihm mit dem Bajonett gegen die Hüfte, und rasch folgte er den anderen Gefangenen, die in einer Schlange Aufstellung nahmen, um auf die Ladeflächen mehrerer bereits überfüllter Lastwagen zu klettern.
Auf dem Weg zur Stadt ließ ein lachender Wachtposten die Gefangenen wissen, daß sie nun, wie das Recht es verlange, vor ein Gericht gestellt und gleich darauf ins Gefängnis zurückgebracht und gehängt würden – jeder einzelne. Die letzte Hoffnung wurde zur Verzweiflung, doch zum erstenmal war Lubji nicht sicher, ob der Tod ihm überhaupt noch etwas ausmachte.
Die Lastwagen hielten vor dem Gerichtsgebäude, und die Gefangenen wurden hineingeführt. Lubji bemerkte, daß die Soldaten keine Bajonette mehr auf die Gewehre gesteckt hatten und ein wenig Abstand hielten. Im Haus durften die Gefangenen sich in den hell beleuchteten Korridoren auf Holzbänke setzen, ja, sie bekamen sogar Brotscheiben auf Blechtellern. Lubji wurde mißtrauisch und spitzte die Ohren, als die Wachen sich unterhielten. Einigen Gesprächen entnahm er, daß die Deutschen nur vorgeben wollten, den »Beweis« zu erbringen, daß sämtliche gefangenen Juden Verbrecher seien; denn an diesem Vormittag war ein Beobachter des Roten Kreuzes aus Genf anwesend. Lubji hegte die Hoffnung, daß ein solcher Mann es nicht als Zufall ansehen würde, daß jeder Gefangener Jude war. Doch ehe Lubji darüber nachdenken konnte, wie sein Wissen sich nutzen ließ, packte ein Unteroffizier ihn am Arm und führte ihn in den Gerichtssaal. Lubji wurde zur Anklagebank gewiesen und sah sich einem älteren Richter
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