Archer Jeffrey
Erreichen der Hintertür zog Keith einen großen
Schlüssel aus seiner Jackentasche, steckte ihn ins Schloß,
drehte ihn langsam um, stieß die Tür auf und tastete nach dem
Lichtschalter. In diesem Augenblick hörte er das Stöhnen.
Ungläubig starrte Keith auf den Anblick, der sich ihm bot. Vier
Augen blinzelten geblendet zu ihm empor. Das eine Augenpaar
erkannte Keith sofort; das Gesicht konnte er zwar nicht sehen,
aber die Beine waren ihm mehr als vertraut. Wem das zweite
Augenpaar gehörte, wußte er ebenfalls auf den ersten Blick. Ganz bestimmt würde Duncan Alexander nie den Tag
vergessen, an dem er seine Unschuld verloren hatte.
THE TIMES 21. November 1940
Ungarn im Netz der Achsenmächte: ›Es kommen noch mehr‹, prahlt Ribbentrop
Lubji lag zusammengekrümmt am Boden und drückte die Hände aufs Kinn. Der Soldat hielt das Bajonett dicht zwischen seine Augen und deutete mit einer Kopfbewegung an, daß er zu den anderen Gefangenen auf den wartenden Lkw steigen solle.
Lubji versuchte, seine Proteste in Ungarisch fortzusetzen, doch er wußte, daß es zu spät war. »Hör auf zu quasseln, Jude«, zischte der Soldat, »oder ich mach’ dich zur Sau.« Das Bajonett bohrte sich in Lubjis Hose und riß die Haut an seinem rechten Bein auf. Lubji humpelte, so rasch er konnte, zum Lastwagen und schloß sich einer Gruppe benommener, hilfloser Menschen an, die nur eines gemein hatten: daß man sie allesamt für Juden hielt. Herr und Frau Cerani wurden höchst unsanft auf die Ladefläche befördert, ehe der Lkw sich auf die langsame Fahrt aus der Stadt machte. Nach einer Stunde erreichte er den Hof des Stadtgefängnisses, und Lubji wurde mitsamt allen anderen ausgeladen, als wären sie Vieh.
Die Männer mußten sich hintereinander aufstellen und wurden quer über den Hof in eine große steinerne Halle geführt. Wenige Minuten später marschierte ein SS-Feldwebel herein, gefolgt von einem guten Dutzend deutscher Soldaten. Der SS-Mann brüllte einen Befehl in seiner Muttersprache. »Er sagt, wir müssen uns ausziehen«, flüsterte Lubji, der die Worte ins Ungarische übersetzte.
Alle schlüpften aus ihrer Kleidung, und die Soldaten trieben die nackten Männer zu Reihen zusammen. Die meisten froren und zitterten, einige weinten. Lubji ließ den Blick auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit durch die Halle schweifen. Es gab nur eine Tür – von Soldaten bewacht – und drei kleine Fenster, ziemlich hoch oben.
Minuten später kam ein zigarillorauchender SS-Offizier in maßgeschneiderter Uniform hereinmarschiert. Er stellte sich in die Mitte der Halle und erklärte Lubji und den anderen mit knappen Worten, daß sie nun Kriegsgefangene seien. »Heil Hitler!« rief er abschließend; dann wandte er sich zum Gehen.
Lubji trat einen Schritt nach vorn und lächelte, als der Offizier an ihm vorüberschritt. »Guten Tag, Herr Hauptmann«, sagte er. Der Offizier blieb stehen und starrte den jungen Burschen abfällig an. Lubji versuchte, ihm in gebrochenem Deutsch klarzumachen, daß sie einen schrecklichen Fehler begingen; dann öffnete er die Hand, in der er ein Bündel Pengös hielt.
Der Offizier lächelte, nahm die Geldscheine und setzte sie mit seinem Zigarillo in Brand. Die Flamme wuchs. Als er das Bündel nicht mehr festhalten konnte, warf er Lubji die brennenden Scheine vor die Füße und marschierte weiter. Lubji mußte daran denken, wie viele Monate er gebraucht hatte, um so viel Geld zu sparen. Die Gefangenen standen frierend in der steinernen Halle. Die Wachen, von denen einige rauchten, während andere sich unterhielten, beachteten sie nicht, als gäbe es die nackten Männer gar nicht. Es dauerte eine gute Stunde, ehe eine weitere Gruppe Männer in die Halle trat, diesmal in langen weißen Kitteln und mit Gummihandschuhen. Sie schritten die Reihen auf und ab und blieben vor jedem Gefangenen einige Sekunden stehen, um dessen Penis zu betrachten. Drei Männer wurden aufgefordert, sich wieder anzukleiden und nach Hause zu gehen. Mehr schien es nicht zu brauchen, um wieder in die Freiheit zu kommen. Lubji fragte sich, welchem Test die Frauen unterzogen wurden.
Nachdem die Weißkittel gegangen waren, befahl man den Gefangenen, sich anzuziehen; dann wurden sie aus der Halle gebracht. Auf dem Weg über den Hof suchten Lubjis Augen erneut nach einer Fluchtmöglichkeit, doch überall standen Soldaten mit Bajonetten nur wenige Schritte entfernt. Die Gefangenen wurden in einen langen Flur und dann eine schmale Steintreppe
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