Archer Jeffrey
seiner Anweisungen vom Abschirmdienst lautete,
immer zuerst die anderen reden zu lassen.
»Also, Lubji«, sagte Tulpanow, »ich habe nicht die Absicht,
Ihre Zeit damit zu vergeuden, Ihnen etwas darüber vorzulügen,
welche Funktion ich im russischen Sektor ausübe – schon
deshalb nicht, weil Sie im Laufe der letzten zehn Tage genau
unterrichtet wurden, weshalb ich in Berlin stationiert bin und
welche Rolle ich im ›kalten Krieg‹ spiele; Ihr da drüben nennt
es doch so, nicht wahr? Ich vermute, daß Sie inzwischen mehr
über mich wissen als meine Sekretärin.« Er lächelte und
löffelte sich Kaviar in den Mund. Armstrong spielte scheinbar
verlegen mit seiner Gabel und rührte keinen Bissen an. »Aber die Wahrheit ist, Lubji – oder wäre es Ihnen lieber,
wenn ich Sie John nenne? Oder Dick? Jedenfalls, die Wahrheit
ist, daß ich zweifellos viel mehr über Sie weiß als Ihre
Sekretärin, Ihre Frau und Ihre Mutter zusammen.«
Armstrong schwieg noch immer. Er legte die Gabel auf den
Tisch und ließ den Kaviar unangetastet vor sich stehen. »Wissen Sie, Lubji, Sie und ich sind von derselben Art.
Deshalb bin ich zuversichtlich, daß wir einander von großem
Nutzen sein können.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, entgegnete
Armstrong und blickte Tulpanow fest an.
»Nun, ich kann Ihnen beispielsweise genau sagen, wo Frau
Lauber sich aufhält und daß sie nicht einmal weiß, daß ihr
Mann Besitzer des Telegraf war.«
Armstrong nahm einen kleinen Schluck Wodka. Er war
erleichtert, daß seine Hand nicht zitterte, obwohl sein Herz
bestimmt doppelt so schnell schlug wie normalerweise. Tulpanow griff nach dem dicken braunen Umschlag, öffnete
ihn und nahm ein Schriftstück heraus. Er schob es über den
Tisch. »Und es ist auch gar nicht nötig, daß Frau Lauber es je
erfährt, falls wir zu einer Einigung gelangen.«
Armstrong faltete das dicke Büttenpapier auseinander und las den ersten Absatz des Testaments von Major Klaus Otto Lauber, während Tulpanow sich einen zweiten Teller Kaviar
bringen ließ.
Armstrong schlug die dritte Seite auf; dann rief er erstaunt
aus: »Aber hier steht doch…«
Wieder lächelte Tulpanow. »Ah, wie ich sehe, sind Sie zu
dem Absatz gekommen, in dem Lauber bestätigt, daß Arno
Schultz sämtliche Anteile am Telegraf zurückerhält.« Armstrong blickte auf und starrte den Major an, sagte aber
auch diesmal nichts.
»Das ist natürlich nur von Bedeutung, solange das
Testament existiert«, sagte Tulpanow. »Sollte dieses Dokument
niemals vorgelegt werden, würden die Anteile von selbst an
Frau Lauber übergehen – und in diesem Fall sehe ich keine
Veranlassung…«
»Was erwarten Sie dafür von mir?« fragte Armstrong. Der Major ließ sich Zeit mit der Antwort, als würde er über
die Frage nachdenken. »Oh, vielleicht dann und wann eine
kleine Information. Wenn ich es Ihnen ermögliche, eine eigene
Zeitung zu besitzen, noch ehe Sie fünfundzwanzig sind, Lubji,
hätte ich mir doch wirklich eine kleine Gegenleistung verdient,
finden Sie nicht auch?«
»Ich verstehe nicht ganz«, behauptete Armstrong. »Ich glaube, Sie verstehen nur zu gut.« Tulpanow lächelte.
»Aber ich will es Ihnen gern auseinanderlegen.«
Armstrong griff nach der Gabel und kostete zum erstenmal
im Leben Kaviar, während der Major fortfuhr.
»Fangen wir mit der schlichten Tatsache an, Lubji, daß Sie
nicht einmal britischer Staatsbürger sind. Es hat Sie nur durch
Zufall nach England verschlagen. Und obwohl man Sie in der
britischen Armee mit offenen Armen aufnahm«, er trank einen
Schluck Wodka, »haben Sie gewiß selbst schon erkannt, daß
man Sie nicht gerade aus tiefstem Herzen liebt. Deshalb ist die
Zeit reif, daß Sie sich entscheiden, für welche Mannschaft Sie
spielen wollen.«
Armstrong nahm einen zweiten Bissen. Der Kaviar
schmeckte ihm.
»Ich glaube, Sie würden feststellen, daß die Mitgliedschaft
in unserer Mannschaft Sie nicht übermäßig in Anspruch
nehmen wird. Und ich bin sicher, daß wir einander hin und
wieder helfen könnten, es in dem ›Großen Spiel‹, wie die
Briten es immer noch nennen, zu etwas zu bringen.«
Armstrong schob sich den letzten Löffel Kaviar in den
Mund und hoffte, man würde ihm noch mehr davon anbieten. »Wollen Sie es sich überlegen, Lubji? Wie sieht’s aus?«
Tulpanow beugte sich über den Tisch, nahm das Testament
zurück und steckte es wieder in den Umschlag.
Armstrong schwieg und starrte auf seinen leeren Teller. »In der Zwischenzeit«, sagte der Major vom
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