Archer Jeffrey
Bäckerei übernimmst.«
Charlie blieb wie vom Donner gerührt stehen und wußte nicht, was er antworten sollte.
»Mein Vater hat immer zu mir gesagt, daß du nicht lange brauchen würdest, bis du deinen eigenen Laden hättest. Deshalb habe ich gedacht …«
»Aber ich versteh’ doch über’aupt nichts vom Backen!« stammelte Charlie entgeistert, als er sich in seinen Sessel zurückfallen ließ.
»Damit kennen sich die zwei Gesellen aus, und ich nehme an, daß du dich schon in sechs Monaten besser auskennen wirst als sie. Was die Bäckerei jetzt braucht, ist ein Verkäufer. Vater meinte immer, daß du so gut bist wie dein Großvater, und jeder weiß, daß er der Beste war.«
»Und was ist mit meinem Karren?«
»Er steht nur ein paar Meter vom Laden entfernt, also könntest du leicht beide im Auge behalten.« Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Im Gegensatz zu deiner Hauslieferung.«
»Du weißt davon?« fragte Charlie und blickte zu ihr hoch.
»Sogar, daß du versucht hast, Vater die letzten fünf Shilling in die Hand zu drücken, als er letzten Samstag zur Synagoge gehen wollte. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander.«
»Und wie ‘ast du dir’s vorgestellt?« Charlie hatte langsam das Gefühl, daß er immer ein paar Schritte hinter dem Mädchen herhinkte.
»Du kümmerst dich um den Karren und den Laden, und wir sind Partner fünfzig zu fünfzig.«
»Und was wirst du für deinen Anteil tun?«
»Ich mache die monatliche Buchführung, kümmere mich darum, daß die Steuern pünktlich abgeführt und keine Gewerbeverordnungen verletzt werden.«
»Ich ‘ab noch nie Steuern bezahlt«, protestierte Charlie, »und wen kümmern schon Gewerbeverordnungen?«
Becky blickte ihm zum erstenmal direkt in die Augen. »Leute, die hoffen, daß sie eines Tages ein richtiges Geschäft besitzen und führen werden, Charlie Trumper!«
»Halbe-halbe find’ ich trotzdem nicht in Ordnung.« Charlie versuchte, vielleicht doch noch die Oberhand zu gewinnen.
»Mein Laden ist viel mehr wert als dein Karren und erzielt ein viel höheres Einkommen.«
»‘at er vielleicht, bevor dein Vater gestorben ist.« Charlie bereute seine Worte, kaum daß sie ihm über die Lippen gekommen waren.
Becky senkte den Kopf wieder. »Willst du mir helfen oder nicht?« fragte sie.
»Sechzigvierzig«, sagte Charlie.
Sie zögerte lange, dann streckte sie schließlich die Hand aus. Charlie stand auf und schüttelte ihr heftig die Hand, um ihre Partnerschaft zu besiegeln.
Nach Dan Salmons Begräbnis begann Charlie, regelmäßig den Daily Chronicle zu lesen in der Hoffnung, etwas über das 2. Bataillon der Royal Fusiliers zu erfahren und vielleicht auch, wo sein Vater sein könnte. Er wußte, daß das Regiment irgendwo in Frankreich im Einsatz war, aber wo genau, stand nie in der Zeitung, also half das ihm auch nicht weiter.
Doch die Tageszeitung interessierte ihn bald aus einem zweiten Grund. Fasziniert las er die Reklame auf fast jeder Seite. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, daß die feinen Pinkel aus dem West End tatsächlich bereit waren, Geld für Dinge auszugeben, die er für unnötigen Luxus hielt. Was ihn jedoch reizte, war, einmal dieses Coca-Cola zu probieren, ein Getränk, das vor kurzem aus Amerika herübergekommen war und das es für einen Penny die Flasche zu kaufen gab; und dieser neue Sicherheitsrasierer von Gillette interessierte ihn auch, obwohl er sich immer noch nicht zu rasieren brauchte und ihm sechs Pence für den Halter und zwei Pence für eine Sechserpackung Klingen doch recht viel erschien; außerdem war er sicher, daß sein Vater, der immer nur ein Rasiermesser benutzt hatte, so was für weibisch halten würde. Und ein Damenkorsett für zwei Guineen, also, das fand Charlie nun absolut lächerlich. Weder Sal noch Kitty würden je so was brauchen – Schickidickie vielleicht schon, wenn sie so weitermachte.
So sehr faszinierten Charlie diese offenbar unerschöpflichen, sogenannten Sonderangebote, daß er anfing, am Sonntagvormittag die Trambahn zum West End zu nehmen, um zu sehen, was es dort in den Läden alles gab. Nachdem er aus diesem von Pferden gezogenen Gefährt in Chelsea ausgestiegen war, spazierte er ostwärts zurück nach Mayfair und studierte unterwegs die Auslagen. Er achtete auch darauf, wie sich die Leute hier kleideten, und bewunderte die neuen Motorfahrzeuge, die zwar Qualmwolken von sich gaben, aber zumindest keine Pferdeäpfel zurückließen, während sie die Straße entlangratterten. Er begann sich sogar zu
Weitere Kostenlose Bücher