Archer Jeffrey
Pause – »Guineen. Höre ich hundertfünfundsiebzig?« Daphne, die offenbar für Charlie bot, hob die Hand, und ich versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. »Einhundertundfünfundsiebzig Guineen. Höre ich zweihundert?« Simon blickte sich hoffnungsvoll um, aber es kam keine Reaktion. »Dann einhundertfünfundsiebzig Guineen zum ersten, zum zweiten – und zum …«
Doch ehe Simon den Hammer senken konnte, sprang ein Mann in Tweedjacke, kariertem Hemd und gelbem Binder von der hinteren Reihe auf und brüllte: »Das Gemälde ist nicht ›aus der Schule Bronzinos‹, es ist ein echter Bronzino, der während des Ersten Weltkriegs aus der Kirche St. Augustin bei Reims gestohlen wurde.«
Ein Tumult brach los, als die Anwesenden sich nach dem Mann mit der gelben Krawatte umdrehten und dann das kleine Bild studierten. Simon schlug immer wieder den Hammer auf den Stand, aber es trat keine Ruhe ein, und die Stifte der Journalisten flogen über ihre Notizblöcke. Ich blickte zu Charlie und Daphne hinüber, die aufgeregt aufeinander einredeten.
Sobald der Lärm erstarb, richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Mann, der die Behauptung aufgestellt hatte.
»Ich glaube, daß Sie sich täuschen, Sir«, sagte Simon fest. »Ich kann Ihnen versichern, daß dieses Gemälde der Galerie seit Jahren bekannt ist.«
»Und ich versichere Ihnen, Sir«, rief der Mann, »daß das Gemälde ein Original ist, und auch wenn ich den vorherigen Besitzer nicht beschuldige, ein Dieb zu sein, kann ich beweisen, daß es gestohlen wurde.« Viele der Anwesenden schauten sofort in ihren Katalog nach dem Namen des letzten Besitzers. »Aus der Privatsammlung von Sir Charles Trumper«, stand da in Fettschrift.
Der Tumult steigerte sich, aber der Mann blieb entschlossen stehen. Ich beugte mich vorwärts und zupfte Simon am Hosenbein. Er klopfte mehrmals mit seinem Hammer, und endlich beruhigte sich die Menge. Ich blickte zu Charlie hinüber, der kreidebleich war, dann zu Daphne, die völlig ruhig wirkte und seine Hand hielt. Da ich überzeugt war, daß es eine einfache Erklärung für diese rätselhafte Angelegenheit geben mußte, fühlte ich mich seltsam unbeteiligt. Als Simon die Ordnung wiederhergestellt hatte, gab er bekannt: »Dieses Objekt wird bis auf weiteres zurückgezogen.«
Dann rief er rasch: »Nummer 39«, während der Mann im braunen Tweedanzug, gefolgt von einer Schar Journalisten, aus dem Saal eilte. Keines der restlichen einundzwanzig Gemälde erreichte den erwarteten Preis, und als Simon seinen letzten Hammerschlag an diesem Nachmittag machte, wußte ich, was morgen, obwohl wir jeden Rekord für eine italienische Auktion gebrochen hatten, die wirkliche Sensation in den Zeitungen sein würde. Ich schaute wieder zu Charlie hinüber, der sich sehr bemühte, ruhig zu wirken. Unwillkürlich blickte ich zu dem Stuhl, auf dem der Mann in dem braunen Jackett gesessen hatte. Der Saal begann sich nun zu leeren, und so bemerkte ich zum erstenmal, daß direkt hinter diesem Stuhl eine ältere Dame saß, die sich mit beiden Händen am Griff eines Sonnenschirms leicht nach vorn lehnte und mich fixierte.
Nachdem Mrs. Trentham sicher war, daß ich sie gesehen hatte, erhob sie sich gelassen von ihrem Stuhl und rauschte aus der Galerie.
Am nächsten Morgen hatte die Presse ihren großen Tag. Trotz der Tatsache, daß weder Charlie noch ich einen Kommentar über das kleine Ölgemälde abgegeben hatten, waren unsere Fotografien auf der Titelseite jeder Zeitung, außer The Times, neben der des Madonnenbildes. Der Canaletto wurde in allen Berichten in den ersten zehn Absätzen kaum erwähnt, geschweige denn irgendwo abgebildet.
Der Mann, der die Beschuldigung erhoben hatte, war offenbar spurlos verschwunden, und die Gemüter hätten sich beruhigt, wenn nicht Monseigneur Pierre Guichot, der Erzbischof von Reims, sich zu einem Interview mit Freddie Barker, dem Korrespondenten des Daily Telegraph, bereit erklärt hätte. Barker hatte eruiert, daß Guichot Pfarrer in der Kirche gewesen war, in der das Bild ursprünglich gehangen hatte. Der Erzbischof bestätigte Barker, daß das Ölgemälde tatsächlich während des Ersten Weltkriegs auf mysteriöse Weise verschwunden war, und wesentlicher noch, daß er den Diebstahl damals sofort der Abteilung des Völkerbunds gemeldet hatte, die dafür zuständig war, daß gestohlene Kunstwerke, laut den Bestimmungen der Genfer Konvention, nach Beendigung des Krieges an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben
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