Archer Jeffrey
wurden. Der Erzbischof erklärte, daß er das Bild, wenn er es sah, selbstverständlich sofort wiedererkennen würde – die Farben, die Technik, die Heiterkeit des Antlitzes der Gottesmutter; das begnadete Werk Bronzinos würde ihm bis an sein Lebensende in allen Einzelheiten unvergeßlich sein. Barker zitierte ihn wörtlich.
Der Korrespondent des Telegraph rief mich an dem Tag an, als das Interview erschien, und teilte mir mit, daß seine Zeitung beabsichtigte, den hohen geistlichen Herrn auf ihre Kosten herüberzufliegen, damit er das Gemälde persönlich studieren und somit das Rätsel ein für allemal klären könnte. Unsere Anwälte wiesen uns daraufhin, daß es unklug wäre, dem Erzbischof das Bild nicht zu zeigen; es ihm zu verweigern, wäre gleichbedeutend mit einem Eingeständnis, daß wir etwas zu verbergen hätten.
Charlie erklärte sich ohne Zögern einverstanden. Er sagte: »Laß den Mann das Bild ansehen. Ich bin sicher, daß Tommy aus dieser Kirche nichts weiter mitnahm als einen deutschen Offiziershelm.«
Am nächsten Tag warnte uns Tim Newman, als wir allein in seinem Büro waren, daß wir die Gründung einer Aktiengesellschaft auf mindestens ein Jahr verschieben müßten, falls der Erzbischof von Reims das Bild als den echten Bronzino identifizierte, und daß das Auktionshaus sich möglicherweise nie wieder von einem solchen Skandal erholen würde.
Am folgenden Donnerstag flog der Erzbischof von Reims nach London. Eine ganze Meute von Fotografen begrüßte ihn mit einem Blitzlichtgewitter, bis der Monseigneur nach Westminster chauffiert wurde, wo er Gast des anglikanischen Erzbischofs war.
Monseigneur Pierre Guichot hatte sich für sechzehn Uhr am selben Tag in der Galerie angemeldet, und man hätte es keinem verdenken können, der an diesem Donnerstag durch die Chelsea Terrace spazierte, wenn er geglaubt hätte, Frank Sinatra würde hier erwartet. Die Menschenmassen drängten sich auf den Bürgersteigen, während sie auf die Ankunft des Erzbischofs von Reims warteten.
Ich ging dem hohen Geistlichen am Eingang der Galerie entgegen und stellte ihm Charlie vor, der sich tief verbeugte, ehe er den Bischofsring küßte. Ich hatte das Gefühl, es überraschte den Erzbischof, daß Charlie römisch-katholisch war. Ich lächelte unseren hohen Besucher ein wenig nervös an, dessen Gesicht – vom Wein gerötet, vermutete ich, nicht von der Sonne – unentwegt strahlte. Er glitt den Korridor entlang in seiner violetten Soutane, als Cathy ihn zu meinem Büro führte, wo das Bild bereitstand. Barker, der Reporter vom Telegraph, nannte Simon nur barsch seinen Namen und benahm sich, als hätte er es mit jemandem aus der Unterwelt zu tun. Er reagierte auch nicht, als Simon ein höfliches Gespräch mit ihm anknüpfen wollte.
Der Erzbischof trat in mein kleines Büro und nahm dankend die angebotene Tasse Kaffee an. Ich hatte das Bild auf eine Staffelei gestellt, nachdem wir es auf Charlies Beharren in seinen alten schwarzen Rahmen zurückgegeben hatten. Wir saßen alle schweigend um den Tisch, während der Geistliche die Heilige Jungfrau anblickte.
»Vous permettez?« fragte er und streckte die Arme aus.
»Selbstverständlich«, versicherte ich ihm und reichte ihm das kleine Ölgemälde.
Ich beobachtete aufmerksam seine Augen, während er das Bild vor sich hielt. Zuerst schien er sich ebenso sehr für Charlie zu interessieren, den ich noch nie so nervös gesehen hatte, wie für das Bild selbst. Er blickte auch flüchtig zu Barker, dessen Augen hoffnungsvoll glitzerten. Danach wandte der Erzbischof seine Aufmerksamkeit ganz dem Madonnenbild zu. Er lächelte und schien vollkommen gefangen von der Gottesmutter.
»Nun?« fragte der Reporter.
»Wunderschön. Eine Inspiration für jeden Ungläubigen.«
Barker lächelte ebenfalls und notierte sich die Worte.
»Wissen Sie«, fügte der Geistliche hinzu, »dieses Bild bringt so viele Erinnerungen zurück« – er zögerte einen Augenblick, und ich glaubte, mein Herz würde stillstehen, ehe er erklärte –, »aber helas, Mr. Barker, ich muß Ihnen leider sagen, es ist nicht das Original. Lediglich eine Kopie der Madonna, die ich so gut kannte.«
Der Reporter hörte auf zu kritzeln. »Nur eine Kopie?«
»Ja, je le regrette. Eine hervorragende Kopie, peut-etre gemalt von einem Schüler des großen Meisters, aber nichtsdestoweniger eine Kopie.«
Barker konnte seine Enttäuschung nicht verbergen, als er seinen Notizblock auf den Tisch legte. Er sah aus, als wollte er
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