Archer Jeffrey
verhindern, daß die Kleine es mir übelnahm, mußte
ich ihr die kühle Rechnerin vorspielen, um sie zu dem Glauben
zu bringen, ich hätte es getan, weil ich mir Gewinn davon
versprach.
Sobald sie davon überzeugt war, händigte sie mir sofort
dreißig Pfund aus, um die Schuld zu verringern. Und man muß
sagen, daß sie sich sofort ernsthaft mit ihrem neuen
Unternehmen befaßte; sie warb sogar einen jungen Mann aus
einem Laden in Kensington ab, der Trumpers Obst- und
Gemüsehandlung bis Charlies Heimkehr führen sollte. Und sie
arbeitete wie eine Besessene, sogar während der unmöglichsten
Stunden. Ich brachte sie nie dazu, mir zu erklären, welchen
Sinn es machte, vor der Sonne aufzustehen.
Als Becky sich in ihren neuen Tagesablauf gefunden hatte,
lud ich sie sogar mal ein, mit in die Oper zu gehen – es gab La
Boheme. Bisher hatte sie nie Neigung gezeigt, irgendwohin mit
auszugehen, insbesondere jetzt, angesichts ihrer neuen
Verantwortung für den Laden, aber diesmal überredete ich sie,
weil eine Bekannte in letzter Minute abgesagt hatte und ich
unbedingt noch eine Begleiterin brauchte, um wenigstens vier
Leute zusammenzubekommen.
»Aber ich habe nichts anzuziehen!« meinte sie.
»Du kannst dir was von meinen Sachen aussuchen – was du
willst«, versicherte ich ihr und schob sie in mein
Schlafzimmer.
Ich sah, daß sie diesem Angebot nicht widerstehen konnte.
Eine Stunde später erschien sie in einem langen türkisfarbenen
Kleid, das Erinnerungen daran weckte, wie es ursprünglich an
der Vorführdame gewirkt hatte.
»Wer sind deine anderen Gäste?« erkundigte sich Becky. »Algernon Fitzpatrick. Er ist der beste Freund von Percy
Wiltshire – du erinnerst dich, dem Mann, der noch nicht weiß,
daß ich ihn heiraten werde.«
»Und wer ist der letzte des Gespanns?«
»Guy Trentham. Er ist Captain bei den Royal Fusiliers, die
Offiziere des Regiments sind gesellschaftsfähig; gerade noch«,
fügte ich hinzu. »Er ist vor kurzem von der Westfront
zurückgekommen, wo er eine recht gute Figur gemacht hat, wie man sich erzählt. Militärverdienstkreuz und so weiter. Wir kommen aus der gleichen Ortschaft in Berkshire und sind miteinander aufgewachsen. Ich muß allerdings zugeben, daß wir nicht viel gemein haben. Er sieht sehr gut aus, aber er hat
einen Ruf als Frauenheld, also paß auf.«
Ich fand, daß La Boheme ein großer Erfolg gewesen war,
auch wenn Algernon mir nicht viel Neues über Percys
Absichten erzählen konnte. Guy konnte seine Augen während
des ganzen zweiten Akts nicht von Becky nehmen – nicht daß
sie das geringste Interesse an ihm zu zeigen schien.
Um so größer war meine Überraschung, als Becky, kaum
daß wir wieder zu Hause waren, gar nicht mehr aufhören
konnte, von Guy zu reden – seinem Aussehen, seiner
Kultiviertheit, seinem Charme, und wie zuvorkommend er den
ganzen Abend gewesen sei. Endlich gelang es mir, mich ins
Bett zurückzuziehen, aber erst, nachdem ich Becky zu ihrer
Befriedigung versichert hatte, daß ihre Gefühle zweifellos
erwidert wurden.
Tatsächlich wurde ich unbeabsichtigt zum Postillion
d’amour bei dieser knospenden Romanze. Guy bat mich am
nächsten Tag, Miss Salmon einzuladen, ihn in ein West-EndStück zu begleiten. Becky nahm natürlich an, aber das hatte ich
Guy bereits versichert.
Nach ihrem Besuch des Haymarket Theaters begegnete ich
den beiden mehrmals und befürchtete allmählich, daß die
Beziehung, wenn sie noch ernster wurde, nur in Tränen enden
konnte, wie meine Kinderfrau gern gesagt hatte. Ich bedauerte
bereits, die beiden überhaupt miteinander bekannt gemacht zu
haben, obwohl es keinen Zweifel gab, um den modernen
Ausdruck zu zitieren, daß Becky sich total in ihn verknallt
hatte.
Trotz alledem kehrte ein paar Wochen für die Bewohner
von Nummer 97 wieder Ruhe ein – und dann kam Charlie. Becky stellte ihn mir erst geraume Zeit nach seiner Rückkehr vor, und da mußte ich mir eingestehen: Männer wie ihn gab es in Berkshire nicht. Der Anlaß war ein gemeinsames Abendessen in dem gräßlichen italienischen Restaurant nicht
weit von meiner Wohnung.
Genau gesehen war der Abend nicht gerade ein
Riesenerfolg, teils weil Guy sich keine Mühe gab, gesellig zu
sein, hauptsächlich aber, weil Becky gar nicht versuchte,
Charlie ins Gespräch zu ziehen. Ich stellte Fragen und mußte
die meisten selbst beantworten. Und was Charlie betraf,
erschien er mir auf den ersten Blick ein wenig linkisch. Als wir nach dem Essen alle zu meiner Wohnung
zurückspazierten, meinte
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