Arglist: Roman (German Edition)
ich ein sabbernder, seniler, alter Sack.«
Sie kniff ihm in die Wange. »Aber überhaupt nicht. Ich versuche doch nur, dir zu helfen... dir zu Diensten zu sein. Denk einfach, ich sei eine Geisha mit Pistole.«
24
Der Sonnenuntergang lag rechts von ihnen, ein feuerroter Ball, der goldene Strahlen auf eine weiche schiefergraue Oberfläche ausspuckte. Sie waren noch ungefähr fünfzehn Kilometer von ihrem Ziel entfernt. Der Verkehr war zwar ätzend gewesen, dafür gab’s als Entschädigung eine schöne Aussicht und leckeres Sushi, abgesehen vom anschließenden Durst. Oliver war bereits bei seiner zweiten Cola light, als er die Ausfahrt für den La Jolla Village Drive sah.
»Bieg rechts ab«, wies Marge ihn an. »Melindas Eltern heißen Mark und Delia Defoe, stimmt’s?«
»Stimmt. Wie in ›Die Schatzinsel‹.«
»Das war Robert Louis Stevenson«, korrigierte ihn Marge, »Defoe ist ›Robinson Crusoe‹.«
»Gib nicht so an.«
»Ich gebe nicht an, ich sage nur... ach, vergiss es.«
»Vielleicht bist du mal beeindruckt davon, dass ich überhaupt weiß, dass Defoe irgend so ein Südsee-Schiffbruchsbuch geschrieben hat?«
»Doch, sehr, und dein literarischer Intelligenzquotient ist um einen Punkt gestiegen. Können wir jetzt über den Fall reden?«
»Sicher. Melindas Eltern passen auf ihren Urenkel auf. Sie sind Ende siebzig. Jared bat uns, sanft mit ihnen umzugehen. Wie heißt die Siedlung?«
»La Jolla Pines.«
Oliver bremste. »Was steht da auf dem Schild?«
»La Jolla Woods.«
Er fuhr im Schneckentempo noch zwei Kilometer weiter. »Und auf diesem Schild hier?«
»La Jolla Hills. Dein Plan sagt, du sollst noch circa fünf Kilometer geradeaus fahren. Das waren keine fünf.«
»Und da?«
»La Jolla Shores.«
»Sie strotzen hier nicht gerade vor Einfallsreichtum.«
»Fahr weiter...« Sie fuhren schweigend ungefähr eine Minute weiter. Marge lugte in die Dämmerung hinaus. »Da links geht’s nach La Jolla Pines.«
Oliver bog ab, und sie gelangten in eine bewaldete Wohnsiedlung mit viel Stuck und Holz, bebaut mit zweistöckigen Häusern, die stilistisch gesehen eher nach Cape Cod gehörten. Die Häuser waren vom Grundprinzip her alle gleich, hatten aber durch die Wahl von Baumaterialien, Pflanzen, Gartengestaltung, Statuen, Zäunen und Toren individuelle Noten bekommen. Sie fuhren durch geschwungene Straßen, die sanft anstiegen und wieder abfielen, beschattet durch ausgewachsene Eukalyptusbäume und Pinien. Grüne Rasenflächen, viele blühende Blumen und eine Fülle von Zitronenbäumen. Die Luft war feucht und salzig, und es herrschten um die achtzehn Grad Celsius.
Sie parkten vor einem weiß und ziegelrot verputzten Haus, das mit vielfarbigem Springkraut geschmückt war. Sie waren kaum aus dem Auto gestiegen, als die Gartenund Eingangsbeleuchtung ansprang und sich die Haustür öffnete. Eine ältere Dame trat auf die Veranda. Sie war sorgfältig frisiert und gekleidet: weiße sportliche Hose, weiße Bluse und roter Blazer. Ihr toupiertes Haar war blond, die Nägel waren lang und in einem Perlmutt-Ton lackiert, die knubbeligen Finger mit riesigen Diamantringen verziert.
Marge zückte ihren Dienstausweis, während sie sich vorstellte. »Und Sie sind Mrs. Defoe?«
»Delia...« Sie ging ein paar Schritte auf sie zu und hob den linken Zeigefinger an ihre Lippen. »Der alte Herr ist auf der Wohnzimmercouch eingeschlafen. Wir können uns im Fernsehzimmer unterhalten.«
Die Eingangshalle lag im Dunkeln, aber das Wohnzimmer war erleuchtet. Die Decken schwebten mindestens vier Meter über dem Boden, und ein Panoramafenster bot eine glitzernde Aussicht auf die beleuchteten Hügel von La Jolla. Hinter den Lichtern schimmerte das Abendrot auf der Meeresoberfläche.
»Hier entlang«, flüsterte Delia.
Das Fernsehzimmer wurde von einem an der Wand angebrachten 60-Zoll-Flachbildschirm dominiert. Auf Regalen stapelten sich DVDs und CDs, dazwischen einige wenige Taschenbücher. Die Möbel waren schnörkellos, aber bequem und mit beigefarbenem Stoff gepolstert – das gleiche Beige wie das des Teppichs. In einer Ecke stand eine offene Truhe, aus der Spielzeug hervorquoll.
»Nehmen Sie irgendwo Platz. Möchten Sie etwas aus der Bar?«
Oliver blickte sich um und entdeckte einen schmalen Raum, der durch eine halbe Tür abgetrennt war. »Ein Bier wäre toll.«
»Für mich Mineralwasser, wenn es keine Umstände macht«, sagte Marge.
»Kommt sofort!« Sie betrat den Barraum, öffnete einen kleinen Kühlschrank
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