Argus #5
verwirklichen und seine Phantasien in die Realität umzusetzen. Damit wir, seine Freunde, uns daran erfreuen konnten. Seine Arbeit war so … faszinierend. Aber jetzt werde ich zu Ende bringen, was er begonnen hat. Wir freuen uns alle, dich wieder bei uns zu haben.»
C. J. hatte den Campus und Santa Barbara weit hinter sich gelassen und joggte an den Klippen entlang, die sich über den Pazifik erhoben. An dieser Stelle entkam sie normalerweise ihren Erinnerungen, aber heute hielten sie Schritt und rauschten ihr durch den Kopf wie Ausschnitte aus einem Horrorfilm: der Jeep, der gegen die Autobahnbrücke fuhr, die Sirenen und Blaulichter, Dominick, der Masterson anschrie, den Wagen zu verlassen, Masterson, der ihn verhöhnte und prahlte, wie er das System austricksen würde, und dann plötzlich hinter sich griff … Und dann der Schuss aus Doms Waffe.
Die interne Ermittlung zu Mastersons Tod hatte fast ein Jahr gedauert, aber am Ende war Dominick von jeder Schuld freigesprochen worden. Am gleichen Tag nahm er C. J. mit zum Hafen, führte sie an Bord eines acht Meter langen Sea Ray Sundancer und schlug ihr vor, mit ihm fortzusegeln und alles hinter sich zu lassen. Was er wirklich meinte, war, davonzulaufen.
Eine Weile war der Plan aufgegangen. Bis ihnen beiden klar wurde, dass sie viel zu jung waren und das Leben viel zu kompliziert, um den Rest ihres Daseins mit Nichtstun zu verbringen. Nach zwei Jahren waren sie nach Chicago gezogen, und Dominick war wieder Detective auf Verbrecherjagd, diesmal beim Chicago PD, während C. J. versuchte, den Verbrechern aus dem Weg zu gehen, und ehrenamtlich im Krankenhaus und mit in Not geratenen Kindern arbeitete. Aber es reichte nicht. Schließlich hielt sie den Zeh ins kalte Wasser, indem sie als Opferhelferin bei der Staatsanwaltschaft Cook County anfing, und als man ihr eine Stelle als Anklägerin anbot, nahm sie an. Anscheinend fühlte sie sich genauso zu den Verbrechern hingezogen wie umgekehrt. Und Chicago hatte einige zu bieten.
Es war nach elf, als sie zurück ins Haus ihrer Großmutter kam. Die Wolkendecke hatte sich aufgelöst, und die Sonne schien. Bis auf einen dunklen Fleck von Sturmwolken, die sich in weiter, weiter Ferne über den Bergen ballten, war es ein wunderschöner Tag. C. J. sah auf die Uhr. Sie war 35 Kilometer in viereinhalb Stunden gelaufen.
Dominick wäre stolz auf sie: So weit war sie noch nie gelaufen. Es fehlten nur noch ein paar Kilometer bis zum Marathon, etwas, das sie sich schon lange vorgenommen hatte. Er hatte ihr versprochen, am anderen Ende von Manhattan an der Ziellinie auf sie zu warten, ganz egal, wie lang sie brauchte. Sie stellte sich sein Gesicht am Frühstückstisch vor, sein braunes, vom Schlaf verwuscheltes Haar, ein Lächeln auf seinem braungebrannten, schönen Gesicht, als er ihr sagte, sie würde alles erreichen, was sie sich vornahm. Er hatte die Scheidungspapiere immer noch nicht zurückgeschickt. Wieder überlegte sie, ob sie ihn anrufen sollte. Doch dann fiel ihr ein, dass eine Entschuldigung einfach nicht reichte …
Trotz der langen Strecke, die sie gelaufen war, hatte ihr Trick heute nicht funktioniert. Der Clown, Bantling, Cupido, Chambers, Morpheus, Masterson, die anderen … Die Dämonen ihrer Vergangenheit waren ihr immer noch auf den Fersen. Eine düstere Vorahnung überkam sie, wie der Sturm, der sich über den Gipfeln in der Ferne zusammenbraute. Ein beharrlicher sechster Sinn, der ihr sagte, dass irgendetwas Böses im Gange war. Und dieses Etwas kam näher, langsam, stetig, und eines Tages, wenn sie sich umdrehte, würde es über sie herfallen. Und sie hätte es nicht kommen sehen.
Sie schüttelte die unangenehmen Gedanken ab, griff nach der Sonntagszeitung und winkte einem Nachbarn zu, als sie zum Haus lief. Den Fall gegen Richard Kassner hatte sie beinahe unter Dach und Fach. Nächste Woche musste sie vielleicht schon das Schlussplädoyer halten, und sie würde den Rest des Tages daran arbeiten.
Es war Zeit, das neue Level des Spiels zu beginnen.
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Dritter Teil
38
S chon Tage im Voraus hatte sich die Panik verbreitet, und die alten Leute wurden als Erste davon erfasst. Alle rannten – oder besser gesagt: wackelten, rollten und humpelten – los, um sich noch ihre Rezepte ausstellen zu lassen und mehr Brot und Milch zu horten, als sie in einem ganzen Monat verzehren konnten. Zwei, drei Tage später ergriff die Panik auch die übrige Bevölkerung. Wasser, Babynahrung,
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