Argus #5
Frauen. Alle blond, alle auffällig schön. Ihre Gesichter hatten die Wände der Kommandozentrale seiner Taskforce beim FDLE tapeziert, für die er zwei Jahre lang gearbeitet hatte. Neben den Fotos der verstümmelten Leichen, ausgestellt in sexuell provokanten Posen, nachdem ihr Mörder ihnen bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust geschnitten hatte. Noch heute sah Manny die süßen jungen Gesichter manchmal in seinen Albträumen, blutverschmiert, als flehten sie ihn immer noch um Hilfe an.
«War Bantling nicht schon im Gefängnis, als die Morpheus-Morde stattfanden?», fragte Daria.
Manny nickte. «Er saß in der Todeszelle. Er war gerade wegen einer Anhörung in seiner Berufung nach Miami geholt worden, und kurz bevor sie ihn zurück ins Florida State Prison bringen wollten, sagt mir sein Anwalt, dass er reden will. Bantling hätte Informationen zu Morpheus und wolle einen Deal machen. Ich also hin. Und Bantling fängt an, mir von diesem …» Manny machte eine lange Pause. «… von diesem Club zu erzählen.»
«Club?»
«Ja. Ein Geheimclub aus lauter Verrückten, die Leuten gern beim Sterben zusehen. Doch Bantling behauptete, es sei nicht einfach nur ein Haufen Irrer, sondern es wären prominente Bürger dabei: Wall-Street-Makler, Politiker, Ärzte, Investmentbanker, Schauspieler, sogar …» Er hielt inne, bevor er das nächste Wort aussprach, als schmeckte es bitter. «… sogar Cops. Und dank dem Internet geht es hier nicht nur um Miami, sondern um die ganze Welt. Angeblich kostet die Mitgliedschaft eine Menge Geld – schließlich zahlt man für das Privileg, Leuten beim Sterben zuzusehen. Und ich meine nicht natürliche Todesursachen.»
«Die Typen sehen also gerne Snuff-Filme?», fragte Daria.
«Sie drehen Snuff-Filme, Counselor. Aber nichts davon wurde je bewiesen – Bantling wollte uns keine Namen geben und wir ihm keinen Deal, weil wir Morpheus inzwischen gefunden hatten.» Manny holte tief Luft und rieb sich über den kahlen Schädel. «Das FDLE sollte unter Mithilfe des Zolls und der Postbehörde den Behauptungen nachgehen, aber … am Ende wurden Bantlings Behauptungen als Gefasel eines Verzweifelten abgetan, der seinen Arsch vor dem elektrischen Stuhl retten will. Er wanderte zurück in die Todeszelle, und wir anderen wollten mit unserem Leben weitermachen.»
Er sah an ihr vorbei zum Gefängnis hinüber.
«Aber jetzt … na ja, ich muss dauernd an die Befragung von damals denken», sagte er nachdenklich. «Und ich muss an das Video von Gabbys Tod denken und die Gesichter auf den Bildschirmen, die dabei zusahen. Schon mal was von Argus gehört, dem Ungeheuer aus der griechischen Mythologie? Ein Riese mit hundert Augen am ganzen Körper. Kommt mir gerade in den Sinn. Wie schrecklich das sein muss, wenn dir so viele Augenpaare beim Sterben zusehen. Und vor allem muss ich auch an die grauenhaften Szenen denken, die wir auf dem Video nicht gesehen haben, die Folter und die Grausamkeiten, die auf dem Clip fehlen. Und ich höre immer wieder, was Bantling mir erzählt hat, und frage mich, ob es genau das ist, was wir hier vor uns haben. Verstehen Sie? Vielleicht haben wir es hier mit einem Snuff-Club zu tun, Counselor. Vielleicht haben wir damals die Ermittlungen eingestellt, aber der Club hat seine Aktivitäten fortgeführt.»
17
D as klingt ziemlich weit hergeholt, Detective.» Daria hoffte, dass sie immer noch cool wirkte, doch ihr Herz raste bereits, und ihre Hände schwitzten. Argus. Ein Snuff-Club. Das war krank und pervers, sie hatte noch nie von so etwas gehört. «Sie denken, es gibt einen Snuff-Club, weil Sie einen winzigen Ausschnitt eines gefilmten Mordes sehen und weil Ihnen ein verlogener Serienmörder im Knast vor Jahren erzählt hat, so ein Club würde existieren? Deswegen soll das jetzt der Beweis dafür sein?»
«Hören Sie auf damit!», schoss Manny zurück.
«Womit?»
«Etwas lächerlich zu machen, das ich ziemlich logisch finde. Mit Ihrer Anwaltsdenke und Ihrer Anwaltssprache verdrehen Sie alles. Hören Sie auf damit, und hören Sie mir zu. Sie müssen mich nicht ins Kreuzverhör nehmen, ich bin nämlich auf Ihrer Seite. Und ich werde den Fehler, den ich vor sieben Jahren gemacht habe, nicht wieder machen und die Augen verschließen.»
Er rieb sich den Schädel. «Ich habe ein Bauchgefühl, Counselor. Als ich das Lunders-Video zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass da mehr ist als ein Softporno. Ich wusste, dass ich etwas Schlimmes vor mir habe. Deswegen
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