Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
noch. Dann ließ er die Kupplung kommen und rollte langsam vom Parkplatz, den winkenden Holländerinnen hinterher.
KAPITEL 67
Dortmund, Deutschland
Samstag, 27. Juli 2013, 15.47 Uhr (zur gleichen Zeit)
Lila irrte seit Stunden durch die Innenstadt. Immer wieder kam sie an denselben Geschäften vorbei. Eine Bäckerei, deren Auslage eine unglaubliche Vielfalt an Backwaren aufbot und die nach Kaffee duftete, wie sie ihn von zu Hause kannte. Eine Ecke weiter ein kleiner Wagen, der Fladenbrote verkaufte mit Fleisch und Salatfüllung. Schon vor Stunden, nach der Nacht im Park, hatte sie die hohen Absätze wieder gegen ihre zerschlissenen Turnschuhe getauscht, weil ihre Füße wehtaten. Und sie hatte Hunger. Obwohl ihr Dortmund im Gegensatz zu dem, was sie von Bukarest gesehen hatte, geradezu überschaubar erschien, hatte sie dennoch keine Ahnung, mit welchem ihrer Probleme sie anfangen sollte. Deshalb hatte sie eine Liste erstellt. Am wichtigsten war, an etwas zu essen und zu trinken zu kommen. Als Zweites benötigte sie ein rumänisch-deutsches Wörterbuch. Und dann musste sie Ioana finden. Lila betrachtete die Fassaden der Häuser, die ihr wie Paläste vorkamen. Es gab kleine, alte und schmale Gebäude neben großen Glaskästen mit funkelnden Lichtern hinter den Fenstern. Die Stadt war so sauber, so unglaublich schön und unglaublich voll. Es gab Straßen im Zentrum, auf denen keine Autos fuhren und dafür umso mehr Fußgänger unterwegs waren. Jeder Einzelne war derart in Eile, dass man meinen könnte, der Leibhaftige sei hinter ihnen her. Und sie sahen viel unzufriedener aus, als Lila das in solch einem reichen Land vermutet hätte. Hier schien sich alles nur um den Konsum zu drehen, insoweit hatten ihre Lehrer kein Zerrbild des Westens entworfen bei ihren Warnungen und der Verteidigung der moldawischen Kultur. Allerdings musste Lila zugeben, dass die Menschen hier wesentlich gesünder aussahen als in ihrem Heimatland. Hier schleppten die Alten keine Kisten, und Lila bemerkte viele Mütter, die Zeit für ihre Kinder hatten. Glückliche Familien, dachte Lila und biss sich auf die Lippe. Ihre anfängliche Sorge, dass sie sofort als Ausländerin erkannt und von der Polizei geschnappt werden würde, hatte sich als unbegründet herausgestellt. Im Gegenteil: Niemand interessierte sich für ein junges Mädchen mit staunenden Augen und abgetragenen Turnschuhen. Drei- oder viermal hatten ihr Männer hinterhergeschaut, was vermutlich an der kurzen Hose und der Lederjacke lag, in denen sie sich nicht wesentlich von den einheimischen Frauen unterschied. Lila roch von Weitem gebratenes Fleisch. Hinter der nächsten Ecke stand der Wagen mit den Fladenbroten. Wenn sie nicht bald etwas zu essen bekam, würde sie vor Hunger nicht mehr klar denken können. Sie musste es probieren. Von der Straßenecke aus beobachtete sie die Schlange, die sich an dem Stand gebildet hatte. Der Mann hinter der Theke sah freundlich aus, er trug einen dichten schwarz-grauen Bart und schien für jeden Kunden einen netten Spruch parat zu haben. Lila beschloss, ihr Glück zu riskieren. Sie stellte ihre Tasche auf den Boden und öffnete das Seitenfach. Bevor sie den Umschlag herauszog, blickte sie sich ängstlich um. Sie nahm einen 100-Lei-Schein von dem Bündel aus dem Brief und steckte den Rest zurück in die Tasche. Sie hatte keine Ahnung, wie der Kurs von Euro zu Leu stand, aber anhand der Brot- und Brötchenpreise glaubte sie ausrechnen zu können, dass es ausreichend sein müsste für eines der Brote. Sie reihte sich hinter zwei Jugendlichen mit Jeansjacken in die Schlange. Einer von ihnen flüsterte seinem Freund etwas ins Ohr, und der andere blickte sich zu ihr um. Sie hatten über sie gesprochen. Sie lachten. Lila fühlte sich mies. Als sie an der Reihe war, deutete sie auf den Fleischspieß und hielt einen Daumen nach oben. Der Verkäufer mit dem Schnauzbart lächelte ihr zu.
»Okay«, sagte er. »Einmal Döner. Mit allem?«
»Döner«, wiederholte Lila und hoffte, dass sie es richtig ausgesprochen hatte.
Der Mann zuckte mit den Schultern und schaufelte Fleisch, Salat und Sauce in den Teigfladen. Es roch phantastisch nach krossem Fett.
»Okay?«, fragte er.
»Okay«, sagte Lila und lächelte.
Er hielt ihr den Döner über die Theke seines Wagens, und Lila faltete den 100-Lei-Schein auseinander.
»Was soll das sein?«, fragte er.
Lila blickte ihn fragend an.
»Euro!«, sagte der Mann. Er hielt den Schein gegen das Licht.
»Lei?«, fragte
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