Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)

Wand hinter Adelheid Auchs Schreibtisch, wo er das Schachbrett aufgehängt hatte. Ein Schachbrett mit den Fotos der Mordopfer. Er nahm die Aprikose aus dem Mund und kreiste mit dem Stift um die Bilder, während er Tauscheck seine Theorie erklärte.
    »Hier eine Landwirtin, hier eine Königin, hier eine Dressurreiterin, hier ein Priester. Bauer, Königin, Pferd und Bischof!«, sagte Paul Regen triumphierend.
    »Bischof?«, fragte Bernd Tauscheck. »Sie meinen den Läufer? Und Königin soll wohl die Dame sein?«
    »Die Dame steht im Schach an der Seite des Königs, sie ist die mächtigste Figur. Traditionell wurde sie immer als die Königin gesehen«, erklärte Paul Regen. »Der Läufer hat unterschiedliche Bezeichnungen. Im arabischen Raum ist es ein Berater, bei uns der Läufer, und im Englischen heißt er Bischof. Da unser Täter ohnehin recht international aufgestellt ist, spricht auch nichts dagegen, dass er Engländer sein könnte, oder?«
    »Im Gegenteil!«, pflichtete Adelheid Auch bei.
    »Und: Auch mein Arm, der alles ins Rollen gebracht hat, gehörte einem Bauern«, verkündete Paul Regen, um die letzten Zweifel auszuräumen.
    Der Polizeiobermeister lief die Wand mit den Fotos der Tatorte entlang und runzelte die Stirn. Bei dem Fall aus Frankreich blieb er stehen.
    »Und die beiden hier?«, fragte er und legte damit seinen Finger genau auf Pauls wunden Punkt.
    »Keine Ahnung«, gab Paul Regen zu. »Die passen noch nicht ins Bild.«
    Bernd Tauscheck lief die Wand bis zum Ende entlang.
    »Also, was denken Sie?«, fragte Paul und griff in die Tüte. Er erwischte eine Handvoll Trauben.
    »Turm, Springer, Bischof, Königin und zweimal Bauer?«, fragte Tauscheck.
    Paul nickte.
    »Sie sind der Kommissar«, sagte der Polizeiobermeister, auf einmal mit Standesdünkel.
    »So was interessiert mich eher weniger«, sagte Paul Regen.
    »Sie sollten mal sehen, wie er mit dem Polizeidirektor Wochinger umspringt …«, begann Adelheid Auch, aber Paul Regen bedeutete ihr, dazu lieber nichts zu sagen.
    »Klingt für den Tauscheck nach viel zu viel Zufall, um Zufall zu sein«, sagte Bernd Tauscheck schließlich. »Und da kommt ja das mit dem Formalin und dem Silikon sogar noch dazu.«
    »Endlich jemand, der es versteht!«, sagte Paul Regen. »Er versteht es!«, sagte er zu Adelheid Auch. »Und er glaubt uns!«
    »Er hatte in letzter Zeit etwas zu wenig Liebe«, sagte Adelheid Auch entschuldigend zu Bernd Tauscheck, der ohne zu fragen in die Tüte griff, um sich noch eine Aprikose herauszufischen. Er hätte den halben Viktualienmarkt von Paul Regen haben können.
    »Sind Sie dabei?«, fragte Paul Regen schließlich.
    »Wobei dabei?«, fragte der Polizeiobermeister in seiner Bikerkluft.
    »Bei der Sonderkommission ›Schachspieler‹«, sagte Paul Regen.
    »Die gibt es schon?«, fragte Bernd Tauscheck.
    »Natürlich nicht«, sagte Adelheid Auch. »Und so wie ich den Hauptkommissar Regen kenne, hat er auch nicht vor, es an die große Glocke zu hängen.«
    Bernd Tauscheck biss in die Aprikose und starrte auf die Wand mit den Landkarten. Fünf Fälle, vier Länder.
    »Vielleicht fällt dem Tauscheck dazu noch etwas ein.«
    Paul Regen blickte ihn fragend an.
    »Vor einem Jahr stand auf einmal eine Frau in meinem Büro. Ich hab sie dabei erwischt, wie sie eine Fallakte auf meinem Schreibtisch durchsucht hat. Zwei Minuten später hatte ich eine E-Mail vom BKA in meinem Posteingang und wurde zu ihr abkommandiert.«
    »Klingt ziemlich mysteriös«, kommentierte Adelheid Auch.
    »Das ist sie«, sagte Bernd Tauscheck. »Aber ihre Referenzen waren ziemlich beeindruckend.«

KAPITEL 65
Den Haag, Niederlande
Samstag, 27. Juli 2013, 10.04 Uhr (am nächsten Tag)
    Auf den Bildschirmen im Konferenzraum liefern die Nachrichten des Tages einen Wettstreit mit den Informationen der Steuerfahnder aus ganz Europa. Solveigh konnte live mitverfolgen, wie Procuratore Ugo Bonardi das Oberhaupt der Taccolas zu einem Streifenwagen geleitete. Adriano Taccola hatte sein Jackett über den Kopf gezogen, als Ugo Bonardi seine Schultern herunterdrückte, um ihn auf den Rücksitz zu verfrachten.
    »Mit einer konzertierten Aktion ist es den europäischen Strafverfolgungsbehörden heute gelungen, der kalabrischen Mafia einen schweren Schlag zu versetzen. Die als ’Ndrangheta bekannte Organisation gilt als eines der einflussreichsten Verbrechersyndikate in ganz Europa, und zwei ihrer ranghöchsten Mitglieder wurden heute von der italienischen Staatsanwaltschaft in