neun schweben noch immer in Lebensgefahr, was denkst du, was wir tun sollten?«, fragte Eddy, der seinen Rotwein auf dem Tisch abgestellt hatte und weiter Kabel steckte. »Sie schlachten uns ab, Slang.«
»Wäre Will in seinem Büro gewesen, dann …«
»Ich weiß«, sagte Eddy.
»Wir holen sie uns, oder?«
Eddy blickte betreten zu Boden.
»Wie weit bist du mit der Technik?«, fragte Solveigh mit einem Seitenblick auf das Chaos in der Wohnung.
»Was die Infrastruktur angeht, fast fertig, unsere E-Mail-Accounts hab ich schon wieder online, inklusive Verschlüsselung«, sagte Eddy und starrte in sein Rotweinglas. »Allerdings fehlt uns die Software. Wir haben Zugang zum Internet, aber das war’s. Zwei, drei kann ich vielleicht hacken, aber die anderen … Eine Ermittlung ohne die richtigen Datenbanken im Hintergrund ist Selbstmord, und das weißt du selbst am besten. Was willst du machen? Sollen wir die Verdächtigen googeln? Oder willst du einfach beim Erstbesten reinmarschieren, ein bisschen mit deiner Jericho rumballern und dann Fragen stellen?«
Solveigh trank schweigend ihr Bier.
»Keine E-Mail-Rückverfolgung, keine Grenzübertritte, keine Mobilfunkdaten, nicht einmal ein verdammtes Überwachungsvideo!«
Eddy war heute ein Meister im Schwarzmalen.
Noch ein Schluck Bier.
»Vielleicht …«, sagte Solveigh, »… habe ich dafür eine Lösung.«
»Wie meinst du das?«, fragte Eddy.
»In dem Schließfach war nicht nur Geld.«
Solveigh öffnete die Sporttasche, die zu ihren Füßen lag, und holte die Umschläge heraus. Sie warf sie Eddy in den Schoß.
»Ist es das, was ich denke?«, fragte Eddy.
»Ich hoffe«, sagte Solveigh.
Eddy riss einen der Umschläge auf und faltete das Papier auseinander. Der Zugangscode war zusätzlich mit einer Schicht Farbe bedeckt wie bei einem Rubbellos. Eddy kratzte sie mit dem Fingernagel herunter.
»Du hast gefragt, ob wir sie uns holen?«, fragte Eddy.
Solveigh nickte.
»Jetzt haben wir eine Chance!«, gab Eddy zu und hielt ihr das Weinglas hin.
»Wir kriegen sie!«, sagte Solveigh. »Für Hennink Briggsen, Piotr Limanota, Sara Capelli und Jens Weiland«, zählte Solveigh die verstorbenen Kollegen auf, die ihr am nächsten gestanden hatten. »Und für all die anderen.«
Einer der Computer signalisierte den Eingang einer neuen E-Mail. Eddy drückte Solveigh sein Weinglas in die Hand und rollte zum Schreibtisch.
»Und für Tina Bennett«, fügte er hinzu und deutete auf den Monitor. Es war eine Nachricht von Will Thater.
To:
[email protected] From: William Thater [
[email protected]]
Betrifft: Tina Bennett
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor zehn Minuten starb unsere Freundin Tina auf der Intensivstation des VUmc. Sie ist das 82. Opfer dieses grauenhaften Terroranschlags, den wir Überlebenden nun verkraften müssen. Sie wird uns allen fehlen, während wir versuchen, die ECSB wieder aufzubauen. Tun wir es auch in ihrem Namen. Sie alle kennen Ihre individuellen Aufgaben, ich bitte Sie heute dennoch um Ihre Gedanken oder Gebete für Tina und ihre Angehörigen, welcher Glaubensrichtung Sie auch angehören.
Für Tina,
Will
Solveigh starrte auf die Flasche Heineken in ihrer Hand. Ihre Gedanken formten kein Gebet, sondern eine Erinnerung an Tina, ihre gekräuselte Stirn, wenn sie sich konzentrierte, ihr Lachen, wenn ihr etwas gut gelang. Solveigh und Eddy hatten ein paarmal mit ihr zusammengearbeitet. Sie war eine fröhliche, lebenslustige junge Frau gewesen mit einem brillanten Verstand. Schnell, analytisch, selbstkritisch. Sie hätte eine große Zukunft bei der ECSB gehabt. Wenn das Attentat sie nicht mit achtundzwanzig Jahren aus dem Leben gerissen hätte. Das Attentat, das ihnen allen gegolten hatte. Solveigh ballte die Hand zur Faust.
Eddy, dem Solveigh ansehen konnte, dass er ebenso an Tina gedacht hatte, prostete ihr zu: »Auf Tina.«
»Auf dich, Tina«, sagte Solveigh.
Danach widmete Eddy sich wieder seinen Steckverbindungen. Bauen wir die ECSB auch in ihrem Namen wieder auf, hatte Will sie aufgefordert. Genau das würden sie tun. Und sie und Eddy würden damit anfangen, diejenigen zu finden, die für die feigen Anschläge verantwortlich waren. Es waren – so viel war Solveigh auch ohne Computer klar geworden – mit Sicherheit Gegner, denen die ECSB in der Vergangenheit bereits Schaden zugefügt hatte. Das engte die Suche auf einige der größten kriminellen Organisationen ein, die dieser Kontinent zu bieten hat, dachte Solveigh sarkastisch, als