Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
sie Eddy unterbrach.
»Slang?«, fragte er leise.
Solveigh stellte den Rechner beiseite, den sie gerade zum Schreibtisch tragen wollte, und schaute ihn fragend an.
»Es ist nicht so, wie du denkst, aber auch wir Behinderte haben Bedürfnisse. Und du weißt doch, was dieser Job schon mit deinem Privatleben macht, und du sitzt nicht in einem verdammten Stuhl und kannst nicht mal eine Keksdose aus dem Regal holen.«
»Eddy, wie meinst du das …«, stammelte Solveigh, die keine Ahnung hatte, was sie mit diesem Bekenntnis anfangen sollte.
»Ich war bei einer Prostituierten.«
Solveigh erschrak – was wahrscheinlich die unangebrachteste Reaktion von allen war.
»Gestern Abend. Ich war bei einer Frau und hatte das Handy aus.«
Plötzlich musste Solveigh lachen. Erst vor Erleichterung. Dann wegen der Absurdität. Und am Schluss vor Scham, weil sie so etwas nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. Sie würde sich entschuldigen müssen bei Eddy. Und es würde mit einem Glas Rotwein nicht getan sein.
KAPITEL 14
Iliciovca, Moldawien
Samstag, 15. Juni 2013, 20.11 Uhr (am selben Tag)
Ioana hielt immer noch Lilas Hand, als sie der Bestatter durch die Tischreihen führte. Sein fleischiger Mund grinste unablässig. Weder Bence geschweige denn Radu würden jemals mit einem Verliererziegenbock reden. Aber Lila hatte es sich selbst zuzuschreiben, die Demütigung war zu erwarten gewesen. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen?
Als sie den Spießrutenlauf endlich beendet hatten und wieder unter sich waren, zog Ioana sie weg von den anderen, nach draußen.
»Es ist ungerecht, Lila«, sagte sie und schloss sie in die Arme.
»Es ist schon okay«, sagte Lila.
»Der Bestatter hat sie gekauft, jede Wette«, sagte Ioana.
»Was ändert das schon?«, fragte Lila.
Ioana schwang sich auf einen Zaun und klopfte mit der Handfläche auf das Holz neben sich. Lila blieb stehen.
»Jetzt musst du gewinnen«, bestimmte Lila.
»Wegen Radu?«, fragte Ioana mit einem Augenzwinkern.
»Wir können ihr doch nicht das Feld überlassen, dieser angepinselten … Ach, was weiß ich.«
»Es ist doch egal, wer gewinnt, Lila. Es ist das Dorffest. Hast du das nicht gerade selber gesagt? Was ändert das schon?«
»Aber das Kleid, Ioana. Die Vorsehung.«
»Ach was, Vorsehung. Glaubst du immer noch an diesen Unsinn mit der Hexerei?«
»Ich hab’s!«, sagte Lila und setzte sich neben Ioana.
»Die Lösung für all unsere Probleme?«, fragte Ioana spöttisch.
»Vielleicht«, sagte Lila. »Du musst das Kleid tragen. Dann gewinnst du ganz sicher. Und die Prophezeiung geht doch noch in Erfüllung.«
»Du spinnst«, sagte Ioana. »Es ist dein Kleid. Das kann ich nicht annehmen.«
»Ich leihe es dir ja nur«, sagte Lila und sprang vom Zaun. Sie lief zu der Kleiderstange, die jemand hinter das Gemeindezentrum geschoben hatte, und griff nach dem Bügel mit ihrem schwarzen Kleid. Sie legte es vorsichtig zusammen, damit es nicht auf dem Boden schleifte, als sie zu Ioana zurückrannte.
»Zieh es an«, sagte Lila und drückte es ihr an die Brust.
»Ich weiß nicht«, sagte Ioana.
Alle bis auf die drei Finalistinnen saßen nun an den Tischen oder tanzten zwischen den Bänken. Der Wein und der Cognac lösten die Stimmbänder, es wurde gelacht und gesungen. Ein Freund ihres Großvaters legte einen Arm um Lilas Rücken und sagte ihr, dass sie es verdient gehabt hätte, in die zweite Runde zu kommen. Dazu zeigte er eine löchrige Reihe gelber Zähne und verströmte seinen säuerlichen Atem. Lila freute sich trotzdem über seinen Versuch, sie aufzumuntern, als die Musik plötzlich verstummte. Der Bestatter betrat die Bühne und kündigte die Mädchen an. Mascha, Ioana und Svetlana betraten die Bühne. Und ihre Freundin sah atemberaubend aus in Lilas Kleid. Sie hielt den Rücken durchgedrückt, und die schwarze Spitze war raffinierter als alles, was das Gemeindezentrum jemals gesehen hatte. Svetlana, die Tochter des Bestatters, trug einen kurzen roten Rock und ein T-Shirt mit aufgedruckten Sternen. Sie sah aus wie eine Sängerin aus dem Fernsehen, mit hochtoupierten Haaren und blauem Lidschatten. Lila musste zugeben, dass sie auftrat wie ein Star. Ioana dagegen sah aus wie die Herzogin von Bukarest, wie eine echte Dame. Lilas Fingernägel krallten sich in ihre Handflächen, bis es wehtat. Ioana musste gewinnen. Die dritte Kandidatin, Mascha, hatte offenbar nicht damit gerechnet, eine Runde weiterzukommen, denn sie hatte kein zweites Outfit mitgebracht.
Weitere Kostenlose Bücher