Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
kamen nur drei in die zweite Runde. Damit sollte sichergestellt werden, dass es nur Sieger gab, keine Verlierer. Die Stimmzettel wurden nachher verbrannt. Vor vier Jahren hatte sich eines der Mädchen, das den letzten Platz belegt hatte, noch in der Nacht des Mittsommerfests an der Küchenlampe erhängt. Seitdem wurde heimlich ausgezählt, und es hatte keine weiteren Zwischenfälle gegeben. Wer ins Finale kam, war ein Sieger, die anderen die zweiten. Lila spürte den Schweiß auf ihrer Handfläche, obwohl sie ja erst gar nicht hatte mitmachen wollen. Sie blickte zum Tisch ihrer Großeltern. Bunică winkte ihr zu und lächelte.
»… Mascha Syrbu …«
Eine hübsche, aber nicht sehr helle Tochter eines Tabakbauern, die vier Häuser neben Ioana wohnte. Sie erntete verhaltenen Applaus. Und da sah sie Radu. Am Tisch von Ioanas Großeltern und inmitten all ihrer Geschwister. Ihre Erinnerung hatte Ioana nicht getäuscht. Er sah gut aus. Und er sah zu ihr herüber…
»… Ioana Grigorasch …«
Lila riss eine Hand in die Höhe und küsste Ioana auf die Stirn, und auch der Saal tobte. Ihre vier Brüder sprangen auf und ab, Radu trommelte mit der Faust auf den Tisch, und ihre Großeltern klatschten. Sie nahm ihre beste Freundin in die Arme und verdrückte eine Träne an ihrer Wange. Sie hatte gewusst, dass Ioana es schaffen würde. Aber Ioana flüsterte ihr ins Ohr: »Es gibt noch einen Platz, Lila.«
»Und die dritte Teilnehmerin unseres Finales für die Mittsommerkönigin von Iliciovca heißt …«
»Ich weiß«, flüsterte Lila zurück und versuchte noch einmal Radus Blick zu erhaschen, bevor alles vorbei wäre. Wenn sie die Mathematik nicht im Stich ließ, wusste sie, wer noch im Finale stand…
Der Bestatter riss den Mund weit auf, als könne er es kaum glauben, was er auf dem Zettel mit der Stimmauswertung lesen durfte.
»… es ist«, er räusperte sich, »… Svetlana Saenko. Meine eigene Tochter!« Er umarmte seine stark geschminkte Svetlana, deren Mund aussah wie ein Kaugummi, und zerdrückte dabei eine der Blumen in ihrem Haar.
KAPITEL 13
Amsterdam, Niederlande
Samstag, 15. Juni 2013, 19.39 Uhr (zur gleichen Zeit)
Solveigh betrat die Filiale der Rabobank am Flughafen Schiphol zwanzig Minuten vor Ende der Geschäftszeiten. Die Schalterhalle der vermutlich aus Prestigegründen eingerichteten Geschäftsstelle war leer, außer einem Wachmann und zwei Mitarbeiterinnen war niemand zu sehen. Solveigh legte ihre Identifikationskarte wortlos auf den Tresen und wurde erwartungsgemäß aufgefordert, sich einen Moment zu gedulden. Wenige Minuten später erschien ein Mann mit schlecht gebundener Krawatte und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Sie stiegen eine kurze Treppe hinunter in den Tresorraum der Filiale, der nicht gerade beeindruckende Ausmaße aufzuweisen hatte. Bis auf die dicke Stahltür sah er aus wie ein reguläres Büro. An einer der Wände waren die Schließfächer in die Wand eingelassen. Er nahm ihre Karte in Empfang und zückte einen langen Schlüssel. Sie hatten immer noch kein Wort gewechselt, und wenn es sich vermeiden ließ, würde Solveigh daran nichts ändern. Sie schob die Sonnenbrille zurecht, als er den Schlüssel umgedreht hatte und sich vornehm wegdrehte, um ihr beim Eingeben der Zahlenkombination nicht über die Schulter zu schauen. Solveigh zog den Zettel aus der Hosentasche, auf dem sie die lange Nummer notiert hatte, und drückte die entsprechenden Tasten. Kurz darauf wurde ein elektrischer Motor im Inneren des elektronischen Schlosses aktiviert, und die Tür sprang auf. Solveigh zog die Metallschublade heraus, der Bankangestellte wies ihr den Weg zu einem Vorhang in der hinteren Ecke des Raumes. Auf dem schmalen Resopaltisch zog sie den Reißverschluss einer roten Sporttasche auf, die sie mitgebracht hatte, und begann, sie mit dem Inhalt des Schließfachs zu füllen. Das Wichtigste war das Bargeld, von dem sie einen Teil bereits einer Maklerin für eine möblierte Wohnung in der Innenstadt versprochen hatte. Solveigh zählte auf die Schnelle über hunderttausend Euro in Fünfziger- und Hunderterstapeln ab. Als Solveigh das Geld eingesteckt hatte, pfiff sie leise durch die Zähne. Auf dem Boden der Box lagen Umschläge mit einem Sicherheitsmuster auf der Außenseite, das es unmöglich machte, den Inhalt zu lesen, ohne sie zu öffnen. Und auf den Außenseiten prangten vertraute Embleme: Europol, Eurojust, das deutsche BKA, der britische GCHQ, DCRI. Solveigh vermutete, dass es sich um
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