Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
Zugangsdaten handelte. Sie waren fast noch wichtiger als das Geld, denn ohne eine funktionierende IT-Infrastruktur war heute keinem anständigen Verbrecher mehr auf die Schliche zu kommen, geschweige denn bestens organisierten Terroristen. Solveigh stopfte die Umschläge zu dem Bargeld in ihre Tasche und gab die Schublade zurück. Ihre Sonnenbrille hatte sie während ihres gesamten Besuchs in der Bank nicht abgesetzt, und mit den Angestellten hatte sie kein Wort gewechselt. Bis auf Weiteres galt es, so vielen Überwachungskameras wie möglich ein Schnippchen zu schlagen – oder es ihnen zumindest so schwer wie möglich zu machen, ein gutes Bild von ihr einzufangen. Bis sie wussten, mit welchem Gegner sie es zu tun hatten, durften sie kein Risiko eingehen. Und mit den Passwörtern dürfte es an Eddy sein, zu beweisen, was der moderne Überwachungsstaat zu leisten imstande war, wenn er alles in Bewegung setzte, was ihm zur Verfügung stand. Aber in diesem Fall hoffentlich zu ihren Gunsten.
Als Solveigh die möblierte Wohnung im zweiten Stock eines der typischen Amsterdamer Häuser betrat, sah sie Eddy einen Strang Ethernetkabel hinter seinem Rollstuhl herziehen.
»Alles klar?«, fragte er, als er sie bemerkte.
»Klar«, sagte Solveigh. »Und möglicherweise habe ich eine Überraschung für dich.«
Eddy klemmte die Kabel zwischen die Lehne und die Reifen: »Und die wäre?«
»Nur wenn du mir endlich sagst, wo du während des Anschlags wirklich gewesen bist«, sagte Solveigh.
Eddy nahm die Kabel wieder in die Hand und versuchte, sie um die eng gestellten Möbel zu manövrieren. Seit Stunden verkabelte er die neuen Computer, um aus den sechzig Quadratmetern zum Touristenpreis von neunhundertfünfundsechzig Euro die Woche eine vorläufige Einsatzzentrale zu machen.
»Diese Wohnung ist ungefähr so behindertengerecht wie die New Yorker Metro«, fluchte Eddy, als er vermutlich zum dreiundachtzigsten Mal an diesem Tag versuchte, die kleine Holzschwelle zwischen Wohnzimmer und Flur mit Schwung zu meistern.
»Wo warst du, Eddy?«, insistierte Solveigh.
»Was mache ich, wenn ein Feuer ausbricht?«, fragte er nicht ganz zu unrecht. Sie hatten ihn und seinen Rollstuhl in zwei Etappen hinauftragen müssen, von dem Lastenkran des ehemaligen Speichers im oberen Stockwerk existierte nur noch der Holzausleger.
»Ich besorge einen Feuerlöscher, wenn du mir sagst, wo du gestern Abend warst. Wir arbeiten seit sechs Jahren zusammen, und du warst bisher immer erreichbar.«
»Spar dir den Feuerlöscher. Das Leben als Krüppel ist kompliziert, Slang.«
Solveigh seufzte und hob einen Monitor auf den kleinen Schreibtisch. Keine zehn Sekunden später fluchte sie laut, weil sie sich einen Nagel beim Reindrehen einer Schraube einriss.
»Ich brauche ein Bier«, sagte Solveigh. »Willst du auch eins?«
»Wenn du nicht einmal mehr weißt, was ich trinke, können wir gleich einpacken«, sagte Eddy.
Fünf Minuten und eine Verschnaufpause in der Küche später setzte sich Solveigh mit einem Glas Rotwein und einem sehr kalten Heineken auf die Couch. Eddy stöpselte Kabel an einen Router. Sie hielt ihm das Glas vor die Finger. Er blickte auf.
»Danke, Slang.«
»Bitte.«
Sie schaute ihn an, versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, warum Eddy schwieg. Was war vorgefallen, dass er dem Mädchen, das er einst aus der Gosse gezogen und zur ECSB geholt hatte, nicht mehr vertraute? Eddy war so etwas wie ein großer Bruder für sie. Eine Identifikationsfigur. Und sie waren ein Team. Die gesamte ECSB war in Einheiten zu je zwei Mitarbeitern organisiert. Einer, der in der Zentrale die Fäden zusammenhielt, und einer, der europaweit ermittelte. Zwei Menschen, die sich bedingungslos aufeinander verlassen konnten. Die sich bedingungslos vertrauten. Zwei Menschen wie Eddy und Solveigh. Und ausgerechnet jetzt, in der Stunde der größten Krise, die sie jemals erlebt hatten, schien ihr Vertrauensverhältnis zum ersten Mal ernsthaft gestört. Es war Solveigh nicht angenehm, ihn nach Dingen zu fragen, die sie möglicherweise nichts angingen, die seine Privatsphäre berührten. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie nicht anders funktionierten. Nicht in dieser Situation, alleine gegen alle anderen. Und Eddy war sich darüber im Klaren. Solveigh blieb nichts anderes übrig, als seine Entscheidung zu akzeptieren.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Solveigh und nahm einen großen Schluck Bier.
»Einundachtzig Kollegen sind tot. Weitere zwanzig verletzt,
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