Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
wir auch in Bukarest?«
Lila hätte beinah selbst geweint, aber Ioana ließ ihr keine Zeit.
»Radu, du musst Lila kennenlernen«, sagte sie bestimmt und drückte Lila in seine Richtung. »Ich brauche einen Wein!«
Radu küsste sie auf beide Wangen. Von Nahem sah er sogar noch etwas besser aus. Er musste etwa fünf oder sechs Jahre älter sein als sie, und es war ihm anzusehen, dass er es in der Großstadt zu etwas gebracht hatte. Er trug eine leuchtend weiße Jeans, ein enges T-Shirt und sehr große, sehr weiße Turnschuhe von adidas. Für Turnschuhe von adidas hätten Lila und Ioana mehrere Hühner geopfert, zur Not sogar eigenhändig.
»Hallo, Lila.«
»Eigentlich heiße ich Liliana«, sagte Lila.
»Liliana«, sagte Radu. Es klang verträumt. »Ein schöner Name für ein schönes Mädchen«, sagte er.
Lila schoss die Röte ins Gesicht, und sie hoffte, dass man es für eine Folge des Weins oder der Hitze hielt. Glücklicherweise hatte Ioana mittlerweile ein Glas aufgetrieben und setzte sich auf die Bank gegenüber mitten zwischen ihre lärmenden Brüder, denen die Veranstaltung merklich auf den Zeiger ging.
»Also doch nicht nach Bukarest?«, fragte Radu seine Cousine.
»Es war ein abgekartetes Spiel«, sagte Lila.
»Natürlich war es das«, sagte Radu. »So läuft es immer.«
»Auch in Bukarest?«, fragte Lila.
»Es kommt immer drauf an, wen man kennt«, sagte Radu. »Aber grundsätzlich ja.«
»Wer will schon nach Bukarest?«, fragte Ioana.
Lila trat ihr unter dem Tisch mit dem Fuß gegen das Schienbein: »Wer nicht?«, fragte sie stattdessen.
Radu lächelte: »Für den Trip braucht ihr diese Veranstaltung jedenfalls nicht.«
Und dann erzählte ihnen Radu von seiner Stadt und wie die Menschen dort leben. Dass jeder sich täglich Fleisch leisten könne und dass fast jede Familie ein Auto besitzt. Die beiden Mädchen hingen an seinen Lippen, bis das letzte Musikstück gespielt war. Ihre Großeltern waren längst im Bett, als Radu sie in seinem Auto zu einer Spritztour einlud und mit ihnen nach Drochia fuhr und zurück, nur zum Spaß. In dieser Nacht träumte Lila zum ersten Mal von ihrer Zukunft, weit weg von Iliciovca.
KAPITEL 15
Amsterdam, Niederlande
Dienstag, 18. Juni 2013, 20.59 Uhr (drei Tage später)
Solveigh stellte die zwei Flaschen Cola auf den Tresen des thailändischen Imbisses neben ihre Bestellung und hielt dem zierlichen Asiaten hinter der Kasse einen Fünfzig-Euro-Schein vor die Nase. Er notierte einige Zahlen in einem seltsamen Additionssystem auf einem gelbstichigen Kellnerblock und gab ihr achtundzwanzig Euro und dreißig Cent zurück. Solveigh stopfte einen Fünfer in das dafür vorgesehene Glas auf der Theke und griff nach den Tüten.
Die Nacht war mild, und die Cafés auf der Reguliersdwaarstraat hatten ihre Fensterfronten geöffnet. Eine sanfte Brise wehte durch die enge Gasse, als Solveigh den Weg zurück in ihr temporäres Zuhause antrat. Eddys Durst nach zuckerhaltigen Getränken war kaum zu stillen, vermutlich lag es an der Anspannung und den Stunden, die er mit konzentriertem Programmieren verbrachte. Er arbeitete an einem Computerprogramm, das die Bilder der Überwachungskameras aus dem Amstel Business Park mit den Datenbanken der europäischen Polizeibehörden abglich. Seit gestern Abend funktionierte es, aber ohne die Rechenleistung der Server aus ihrer Zentrale dauerte die Analyse länger, als es sich Solveigh hätte vorstellen können.
»Was hast du erwartet von einem Laptop für zweitausend Euro?«, hatte Eddy gefragt. Solveigh hatte keine Ahnung, was sie erwartet hatte, aber die Warterei lag ihr nicht. Seit dem Telefonat mit Will am Samstag hatte sie keinen Kontakt zu ihm gehabt, geschweige denn zu jemand anderem von der ECSB. Natürlich hielten sie sich an das Protokoll von ELMSFEUER, und sie beschränkten sich auf Anrufe untereinander, aber Solveigh hatte das Gefühl, dass sie keinen Schritt vorankamen. Vielleicht hatten die anderen Teams, die Will Thater beauftragt hatte, mehr Erfolg? Für Solveigh kam es nicht infrage, dass jemand außer ihnen die entscheidende Verbindung herstellte. Da sie Eddy beim Programmieren kaum behilflich sein konnte, hatte sie sich auf die Fälle der ECSB konzentriert. Wem waren sie derart auf die Füße getreten, dass er sie um jeden Preis vernichten wollte? Ihre Liste war nicht eben kurz, aber nachdem sie nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die zukünftige Bedrohung für die jeweiligen Organisationen durch die einzige
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