Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
war nicht entscheidend, ob sie wirkte, als wäre sie leicht zu haben. Es war entscheidend, dass die beiden Italiener dachten, sie könnten sie haben. Sie lächelte, als sie einen Gin Tonic mit sehr, sehr wenig Tanquerey bestellte, und orientierte sich auf ihrem Barhocker in Richtung des Italienertisches. Solveigh wartete zwanzig Minuten, bis der Banker aus Deutschland fragte, ob sie sich zu ihnen setzen wolle. Es war keines ihrer Zielobjekte. Solveigh lehnte ab.
Als sich die meisten der Gruppen bereits aufgelöst hatten, startete der Deutsche einen zweiten Versuch, diesmal hatte er den Rest der Männer, die mit ihm am Tisch gesessen hatten, im Schlepptau. Solveigh vermutete, dass seinem Mut ein Spruch darüber, dass man die an der Bar doch wohl kaum alleine nach Hause gehen lassen könne, vorausgegangen war. Der Deutsche sah aus wie eine schlechte Kopie von Johnny Weissmüller plus Augenringe minus Muskeln. An seinem blauen Jackett prangten goldene Knöpfe, was Solveigh das letzte Mal vor zwanzig Jahren am Grab ihres Großvaters gesehen hatte. Solveigh ließ sich von Weissmüller einen Drink spendieren und versuchte, mit den beiden Italienern in seinem Schlepptau ins Gespräch zu kommen. Als sie den Namen Taccola beiläufig und außerhalb jedes Zusammenhangs zu der Mafiafamilie erwähnte, traf sie ihre Entscheidung. Wiedererkennung und Täuschung in den Augen logen niemals. Es gab Menschen, die einen Lügendetektor täuschen konnten und eine ganze Reihe von Verbrechern, die vor Gericht das Gegenteil der Wahrheit aussagen konnten, ohne dass sie ihre Gesichtsmuskeln verrieten. Aber wenn man Menschen traf, ohne dass ihr Schutzschild aktiviert war, konnten sie nicht anders, den Alkohol, den die beiden getrunken hatten, nicht einmal eingerechnet.
Um Viertel vor zwölf betrat Solveigh mit Fabio Lonzi, einem Direktor des Dipartimento delle Finanze, dessen Hotelzimmer. Sie stolperte über den Teppich im Flur und hielt sich an seinem Arm fest. Dabei stellte sie fest, dass sie die Kampferpaste bei Fabio Lonzi nicht brauchte. Nur etwa einen von gefühlt tausend Männern konnte Solveigh riechen. Es war ihre Nase, die ihre privaten Entscheidungen traf. Nicht, dass sie in den letzten Jahren tausend Männer kennengelernt hatte. Nur einen, der nach einer grünen Sommerwiese gerochen hatte und nach Flugbenzin und Leder. Marcel. Sie verbot sich jeden weiteren Gedanken über ihren Exfreund, von dem sie in diesem Moment nicht einmal wusste, ob er überhaupt ihr Exfreund war. Oder auch über das, was mit Fabio Lonzi passieren könnte, wenn sie nicht aufpasste. Sie lachte lauter, als es bei der minimalen Alkoholmenge ihrer Drinks notwendig gewesen wäre, und verfluchte, dass sie ihre Dienstwaffe nicht dabei hatte. Zwar hatten die Abteilungsleiter keinen Personenschutz, aber in Brüsseler Hotels konnte man nie wissen, wer einem über den Weg lief und wessen überaufmerksamem Bodyguard die Delle unter dem Jackett verdächtig vorkam. Fabio Lonzi war gut zehn Jahre älter als sie. Deutlich älter als Marcel. Sind ältere Männer die besseren Liebhaber? Bisher hatte sie immer ihre eigene Altersklasse bevorzugt. Aber wer konnte bei ihrer Prädisposition schon wählerisch sein? In seinem Zimmer fiel sie lachend auf sein Bett. Sie hörte, wie Fabio, wie sie ihn mittlerweile nannte, die Minibar öffnete, und dann den knackenden Verschluss von Hochprozentigem. Danach das zischende Geräusch einer Limonade und ein Gluckern. Fabio machte ihr einen Drink. Oder für sich selbst, was unhöflicher und aus seiner Sicht auch unvernünftiger gewesen wäre. Beides spielte keine Rolle. Nichts spielte eine Rolle außer ihrer Mission.
»Direttore Lonzi?« Solveigh setzte sich auf. Das Lachen war aus ihrem Gesicht gewichen ebenso wie der Anflug von Trunkenheit.
Fabio Lonzi stand mit halb offenem Hemd vor der Minibar und starrte sie an. Solveigh stand auf, zog den Rock nach unten und lehnte sich an die Schrankwand.
»Können wir reden?«, fragte sie.
»Worüber sollten wir reden?«, fragte er verdutzt. Und mit einem Schlag der Erkenntnis: »Was wollen Sie von mir?«
»Lassen Sie uns über die Taccolas reden«, sagte Solveigh.
»Die Taccolas? Wer soll das sein?«, fragte der Direktor.
»Glauben Sie wirklich, Direttore Lonzi, dass es eine gute Taktik ist, den Unschuldigen zu spielen?«, fragte Solveigh.
»Glauben Sie, dass ich nicht längst weiß, dass Sie ihnen Informationen zuspielen? Und glauben Sie, dass wir diesen ganzen Aufwand veranstalten, wenn
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