Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
wie sie funktioniert, und sie war nicht einmal besonders kompliziert. Zumindest nicht halb so kompliziert, wie hier heraufzukommen, dachte Solveigh. Sie war überzeugt davon, dass die Taccolas keine fremden Handys in ihrem Haus dulden würden oder überall Störsender installiert hatten. Deshalb war der einzige Weg, mit Fabio Lonzi Kontakt zu halten, eine Relaisstation ganz in der Nähe der Villa zu beziehen. Sie hatte ihn mit einer exakten Replik seiner eigenen Brille ausgestattet, die jedoch wie Solveighs Modell mit einer Videokamera und einem Knöchelschalllautsprecher versehen war. Sollten sie ihn auf Wanzen überprüfen, konnte Solveigh die Sendefunktion vorübergehend deaktivieren. Wenn die Brille keine Daten funkte, war sie von einer regulären Sehhilfe nicht zu unterscheiden. Und die vom Militär entlehnte Technik hatte sich bestimmt noch nicht bis in die kalabrischen Berge herumgesprochen. Die ’Ndrangheta lebte eine eigentümliche Symbiose aus Mittelalter und Neuzeit: In der Globalisierung ihrer Unternehmen ganz im 21. Jahrhundert angekommen, bedienten sie sich technologisch größtenteils im vorigen Jahrtausend, und ihre Führungsmethoden würde man eher bei den alten Römern ansiedeln.
Solveigh schaltete den Laptop ein und rutschte auf dem sandigen Boden in eine möglichst bequeme Position. Es könnte sein, dass sie länger hier ausharren musste, als ihr lieb war.
Das erste Signal von Direttore Fabio Lonzis Brille erhielt Solveigh, als er die Straße unterhalb ihres Verstecks in einem dunkelblauen Lancia passierte. Er saß selbst am Steuer, was laut den Informationen, die Eddy über ihn ausgegraben hatte, höchst selten vorkam. Fabio Lonzi war ein Mann, der seine Stellung im Ministerium und das mit ihr verbundene Prestige sehr zu schätzen wusste. Es musste doppelt kompliziert für ihn sein, sich damit abzufinden, dass er von einer Frau erst verführt worden war und schließlich von ihr ausgenutzt wurde. So ist die Welt nun einmal, Fabio, dachte Solveigh, als ihr Laptop das Signal der Brille wieder verlor. Aber immerhin hielt er sich bisher an ihre Anweisungen.
Als der Wagen die Auffahrt der Villa erreichte, empfing Solveighs Laptop das Signal wieder deutlicher.
»Denken Sie daran, ich bin bei Ihnen«, sagte Solveigh in das Mikrofon ihres Headsets. Sie sah, was er sah, sie hörte, was er hörte. Sie hatten keine Zeit gehabt, Fabio Lonzi auf seine Rolle vorzubereiten, was ein Grund für ihre Kletterpartie gewesen war. Der zweite, ungleich bedeutsamere, war die Tatsache, dass sie sicherstellen mussten, dass Fabio Lonzi das Gebot der Fedeltà heute nicht beachtete. Er durfte ihnen keine noch so kleine Botschaft zukommen lassen. Es war Solveighs Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Daten der Brille nach Den Haag übermittelt wurden, zu Eddy und von dort aus weiter zu einem ihrer Mimikexperten aus London. Und zu einer Simultanübersetzerin. Sie hatte Lonzi versprochen, dass sie herausfinden würden, wenn er sie verriet. Und es war keine leere Drohung gewesen, dass er seine Stellung verlieren und seine Familie nur noch alle paar Monate sehen würde. Er könnte dann seine Loyalität den Taccolas gegenüber aus einer Gefängniszelle unter Beweis stellen. Mit Eddys Akte über seine Telefonverbindungen konnten sie ihn jederzeit als Informanten der Mafia enttarnen. Für Procuratore Bonardi wäre er ein gefundenes Fressen, denn die Mafiagesetze Italiens galten als die härtesten der Welt – auch wenn sie sehr selten Anwendung fanden.
Solveigh beobachtete, wie Fabio Lonzi aus dem Auto stieg. Ein Mann in einem weißen Anzug erschien und tastete ihn nach Waffen ab. Er sah nicht aus wie ein Bodyguard, aber Solveigh kannte ihn bisher nicht aus den Unterlagen. Es dürfte kein wichtiges Familienmitglied sein.
Solveigh pfiff durch die Zähne: »Ganz im Gegensatz zu dir, mein Freund«, sagte sie, ohne den Sprechfunk aktiviert zu haben. Matteo Taccola, der braun gebrannte Sonnyboy der Familie, zuständig für das dreckige Geschäft, lief auf Lonzi zu. Und die Begrüßung war alles andere als familiär.
»Was willst du hier?«, herrschte ihn Matteo an. Seine Gestik war feindselig, beinah aggressiv. Ob Matteo den Direktor des Finanzministeriums nicht kannte?
»Sagen Sie ihm, dass Sie wichtige Informationen haben«, sagte Solveigh. Bevor Lonzi Matteo antworten konnte, trat Matteos Onkel Sergio auf den Plan. Der Buchhalter der Familie.
»Direttore Lonzi«, sagte er deutlich freundlicher. »Entschuldigen Sie Matteos
Weitere Kostenlose Bücher