Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
London war ihr nichts Gegenteiliges ins Ohr geflüstert worden.
»Bitte erklären Sie das«, sagte der Don.
»Wenn ich es erkläre, kann ich nicht mehr die Hand aufhalten«, sagte Fabio. Er ging auf volles Risiko.
Solveighs Mauszeiger bewegte sich nicht mehr, so feucht waren ihren Fingerkuppen vom Schweiß.
Adriano Taccola kniff die Augen zusammen. Vermutlich kam es nicht oft vor, dass sich ihm jemand in den Weg stellte. Die Sekunden verstrichen in Zeitlupe.
»Wie viel wollen Sie?«, fragte der Don schließlich.
»Fünf Millionen«, sagte Fabio Lonzi.
»Sie haben nicht alle Tassen im Schrank, Lonzi«, sagte Solveigh ins Mikrofon. »Das klappt niemals. Sag ihm, dass es nur ein Scherz war.«
Der Direttore nippte an seinem Drink. Seine Hände zitterten nicht mehr, er schwenkte das Glas, sodass die Eiswürfel schnelle Kreise zogen.
Der Don warf einen Blick zu Sergio, seinem Finanzminister. Selbst für die Taccolas war fünf Millionen eine große Summe. Nicht unbezahlbar, aber keineswegs ein Betrag, den sie leichtfertig riskieren würden.
»Wenn ich erst preisgebe, was ich weiß, wäre das doch, wie wenn ich an der Ampel Ihre Scheibe putze und danach um etwas Kleingeld bitte. Sie werden sagen: Ich habe ihn ja nicht darum gebeten.«
Der Don lächelte, und Matteo Taccola starrte auf seine Füße. Solveigh war sicher, dass er am liebsten seine Waffe gezogen hätte.
»Also gut«, entschied Adriano Taccola schließlich. »Ich denke, dass ich nicht dazusagen muss, was passiert, wenn sich Ihr Tipp als heiße Luft entpuppt?«
Eine rhetorische Frage. Die Eiswürfel in Fabio Lonzis Glas klirrten gegeneinander.
»Ich rate Ihnen dringend, alle Konten in Italien aufzulösen und das Geld ins Ausland zu transferieren. Deutschland, Frankreich, in die Schweiz, nach England. Diversifizieren Sie möglichst umfassend, vor allem bei den Währungen.«
Sergio Taccola blieb der Mund offen stehen. Er stand auf und lief auf der Terrasse im Kreis.
»Das kann nur eines bedeuten«, sagte er schließlich.
Fabio Lonzi nickte.
»Italien tritt wirklich aus?«, fragte er.
»Nicht freiwillig«, antwortete Fabio Lonzi.
»Natürlich nicht«, sagte Sergio.
»Nach dem Scheitern der letzten Regierung ist Brüssel überzeugt, dass Italien sich nur selbst retten kann. Irgendwann innerhalb der nächsten vier Wochen werden sie es bekanntgeben.«
»Was bedeutet das für uns?«, fragte der Don. Die Frage war nicht an seinen eigenen Finanzminister, sondern an Fabio Lonzi gerichtet.
»Alles Geld, was Sie auf italienischen Banken haben, wird eingefroren und zwangsweise in die neue italienische Währung konvertiert«, sagte der Direktor aus dem Finanzministerium.
»Und am Tag danach massiv abgewertet«, fügte Sergio Taccola hinzu. »Wir könnten bis zur Hälfte des Geldwerts verlieren. Das wäre eine Katastrophe!«
»Deswegen bin ich hier«, sagte Fabio Lonzi und betrachtete die Eiswürfel in seinem Glas.
»Sie sind ein cleverer Hund, Lonzi«, sagte Solveigh über den Sprechfunk. Und sie glaubte, Fabio Lonzis Lächeln in den Eiswürfeln zu sehen.
KAPITEL 56
Dortmund, Deutschland
Sonntag, 21. Juli 2013, 22.38 Uhr (zur gleichen Zeit)
Lila starrte aus dem Fenster auf die schmale Straße vor dem Haus. Seit diesem Abend wehte eine kühle Brise die stickige Luft aus ihrem kleinen Zimmer, und der Asphalt dampfte vom Regen. Etwa einmal in der Stunde lief ein vom Regen Überraschter mit Kapuze oder einem Hemd als Schutz über dem Kopf vorbei, alle zwanzig Minuten suchten zwei Autoscheinwerfer Lücken an den dicht beparkten Straßenrändern. Sie überlegte, wie es mit Ioana und ihr weitergehen sollte. Wie könnte ihnen in einem fremden Land die Flucht gelingen? Ohne Geld, ohne Dach über dem Kopf und ohne Deutschkenntnisse im Gepäck? Wie weit brachten einen hier drei Jahre Englischunterricht auf einer moldawischen Schule? Während sie einen Regentropfen betrachtete, der sich todesmutig vom Fensterbrett löste und über die Regenrinne absetzte, bemerkte sie ein weiteres Scheinwerferpaar, das direkt vor ihrem Haus fündig geworden war. Es war ein schwerer, schwarzer Wagen, dessen Kennzeichen mit einem B begann. Der Buchstabe B war ihr schon öfter aufgefallen, obwohl er offensichtlich nicht für Dortmund stand. Von den Briefen in der Küche hatte sie herausgefunden, dass das die Stadt war, in der die Wohnung lag. Ein Name, der ihr nichts sagte. Wofür könnte das B auf dem Auto stehen? Die einzige Stadt mit B, die Lila in Deutschland kannte, war
Weitere Kostenlose Bücher