Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
Berlin. Sie hoffte, dass das Auto aus Berlin kam, dann hätte sie wenigstens etwas in dieser fremden Welt verstanden. Es wäre ein Anfang. Es klingelte an der Haustür. Der Mann, der das Auto geparkt hatte, wollte zu ihnen. Auf ihrem Bett schreckte Ioana hoch, die sich in Tagträume flüchtete, wenn Lila zum Nachdenken am Fenster saß. Sie war keine große Hilfe, obwohl sie ein Jahr älter war als Lila. Lila wusste mittlerweile, dass sie in ihrer Konstellation die große Schwester spielen musste, auch wenn ihr das noch mehr Angst einflößte. Lila schloss das Fenster. Immer, wenn es an der Wohnungstür klingelte, bedeutete es eine Chance. Wenn nicht zur Flucht aus der Wohnung, dann zur Flucht vor der Langeweile. Man konnte nie wissen. Lila und Ioana hatten ihre Taschen gepackt für den Fall, dass sich eine Gelegenheit ergab, auch wenn Lila nicht recht daran glauben wollte. Das Glück wurde einem nicht auf dem Silbertablett serviert, hatte Lila festgestellt. Nicht einmal in Deutschland, dem Land mit der besten Suppe der Welt.
Lila stand an der Tür und lauschte, wie sich Valentina mit einem Mann unterhielt. Sie sprachen Deutsch, aber Lila hörte, dass es nicht seine Muttersprache war. Seine Stimme klang melodischer, als wäre er es gewohnt, dass sich seine Worte schneller aneinanderreihten. Dann hörte sie Schritte auf dem Flur. Sie kommen zu uns, dachte Lila und schlich auf den Ballen ihrer nackten Füße zu ihrem Bett. Sie griff nach einem der Magazine, als es klopfte.
»Nummer drei und vier!«, bellte Valentinas betrunkene Stimme. »Ihr habt Besuch!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wurde die Klinke heruntergedrückt, und Valentina torkelte in ihr Zimmer. Sie hielt sich ungelenk an der Türzarge fest. Der Mann stand im Dunkeln des Flurs und starrte sie an. Genauer gesagt starrte er Ioana an, die sich ihre Decke an die Brust presste. Sie konnte ihre Angst seit Tagen nicht mehr verbergen, obwohl ihr Lila immer wieder eingebläut hatte, wie wichtig es war, sich nichts anmerken zu lassen. Der Mann löste sich aus dem Schatten des engen Flurs und trat ein. Er humpelte beim Gehen wie Ioanas Großvater, der einmal von einer Leiter gefallen war. Er erinnerte Lila an den Mann aus Bukarest. Den, der entschieden hatte, dass sie nach Deutschland fuhren. Statt der goldenen Uhr trug dieser einen teuren Anzug, und seine Haare sahen feucht aus und lagen eng an seinen Kopf geklatscht. Er wandte sich an Valentina.
»Er fragt, ob er sich setzen darf«, sagte sie. Ihre Stimme klang eher nach fünf als nach einem doppelten Schnaps.
Lila nickte.
Der Mann warf Ioanas Kleid vom Stuhl auf den kleinen Tisch und zog ihn in die Mitte zwischen ihre Betten. Er schwieg lange, betrachtete Ioana auf ihrem Bett mit der Decke vor der Brust. Dann sprach er leise und sanft, wie ein Verführer.
»Ich habe gehört, dass du eine echte Königin bist«, übersetzte Valentina. Lila hatte Ioanas Namen zwischen seinen Worten gehört, Valentina hatte ihn absichtlich weggelassen.
Ioana nickte vorsichtig.
»Bei einem Schönheitswettbewerb in deiner Stadt?«, lallte Valentina von der Tür. Sie hatte ihr Glas wiedergefunden.
Ioana nickte erneut.
Der Mann in dem dunklen Anzug lächelte.
»Sie hat nicht gewonnen«, sagte Lila, die ein komisches Gefühl hatte, was das mit der Königin anging. Es war Zeit, der Realität ins Auge zu sehen. Sie wollte nicht erleben, wie einer dieser ständig wechselnden Männer Ioana wieder eine Saat Hoffnung einpflanzte. Sie mussten hier weg. Und zwar so schnell wie möglich. »Sie ist nur zweite geworden.«
Der Mann drehte sich zu ihr um. Seine Stimme klang immer noch freundlich und sanft, aber die Kälte in seinen Augen strafte seinen Tonfall Lügen. Er starrte Lila an, während er weiter zu Valentina sprach.
»Er sagt, eine Vizekönigin ist doch auch eine Königin.«
Lila schlug die Augen nieder.
»Er sagt, dass das sehr gut ist, dass du eine Königin bist«, sagte Valentina. »Und er sagt, dass er einen Job für dich hat, den nur eine Königin erledigen kann.«
Lila blickte zu Ioana und sah sie lächeln. Und Lila wusste, dass der Mann, der in der fremden Sprache säuselte, ein Menschenfänger war. Und dass Ioana Gefahr drohte.
»Ich bin auch eine Königin«, sagte Lila. »Und ich kann es beweisen.«
Sie dachte an die Prophezeiung und das Kleid, das sie von der alten Hexe gekauft hatte. Natürlich hatte sie es mitgenommen, es hing noch im Schrank, damit es in der gepackten Tasche nicht knitterte. Lila sprang auf und
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