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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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selbstverständlich; Naturgesetze beispielsweise oder mathematische Relationen, aber auch generelle Eigenschaften wie etwa die Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein oder eine bestimmte genetische Struktur zu tragen, sind Strukturen, die wir – ganz im platonischen Sinne – als nicht wahrnehmbar bezeichnen und von wahrnehmbaren Zuständen oder Dingen, die durch diese Strukturen geprägt sind, unterscheiden müssen. Diese Unterscheidung ist eine der wirkungsmächtigsten Innovationen Platons. Allerdings ging Platon noch einen Schritt weiter. Seine plausible These war, dass alle Dinge, die existieren, strukturiert sind und im Wesentlichen über ihre Strukturen identifizierbar sind. Ein Ding, das keinerlei Strukturen aufweist, wäre überhaupt kein bestimmtes Ding und könnte daher auch nicht Gegenstand unseres Wissens sein. Daraus zog Platon allerdings die prekäre Konsequenz, dass die Formen im primären Sinne existieren und dass die wahrnehmbaren Dinge, die durch Formen strukturiert sind, ihre Existenz der primären Existenz der Formen verdanken, die sie instantiieren oder, wie Platon sagte, an denen sie teilhaben. Es war vor allem diese ontologische Konsequenz, über die in der Akademie heiß gestritten wurde und die auch für den jungen Aristoteles ein Stein des Anstoßes war. [59] Daneben wurden auch interessante und anregende allgemeinere Diskussionen geführt, zum Beispiel über den generellen Philosophiebegriff der Akademie oder über ihr Verhältnis zu den Lehren der einflussreichsten Rhetoren der damaligen Zeit. Wir können den Denkstil des jungen Aristoteles am besten studieren, wenn wir uns sein ambivalentes intellektuelles Verhältnis zu Platon anschauen.
    Einer der einflussreichsten Redner im Athen der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. u. Z. war Isokrates (435–338 v. u. Z.). Durch seine Rednerschule gingen einige der bedeutendsten Politiker des spätklassischen Griechenlands. Alarmierend für die platonische Akademie war, dass sich Isokrates am Ende seiner erfolgreichen Karriere kritisch mit dem Philosophiebegriff der platonischen Akademie auseinander gesetzt hatte. In einer fiktiven Verteidigungsrede vor einem fiktiven Gericht, die in provokanter Weise an die Apologie des Sokrates erinnern sollte, legt der greise Isokrates im Alter von zweiundachtzig Jahren Rechenschaft über sein Leben, sein Denken und seine Tätigkeit als Rhetor und Rhetoriklehrer ab. Dabei formuliert er nicht nur heftige Kritik an der Philosophie der platonischen Akademie, sondern propagiert auch einen eigenen rhetorisch geprägten Philosophiebegriff, den er als weitaus angemessener und wirkungsvoller hinzustellen sucht (Isokr. Antidosis 84–85, 261–268, 285).
    Isokrates betont, dass eine angemessene Rhetorik den Redner befähigt, seine Thesen mit richtigen und guten Gründen zum Wohle des Staates überzeugend durchzufechten. Voraussetzungen dafür sind ein Wissen des Guten und Richtigen und die ethische Persönlichkeit des Redners, die auf Wahrheit und Ehrlichkeit hin orientiert ist und politisch stets auf die Stärkung der eigenen Polis (des Stadtstaates) zielt. Die Philosophie soll der Ausbildung dieser Fähigkeit dienen: Sie sollte daher in erster Linie eine Lehre vom guten und staatsmännischen Leben und vom Aufbau des besten Staates sein. Damit bildet sie Denkkraft und Sittlichkeit aus und kann für jeden einzelnen Menschen, vor allem aber für den Redner und [60] Staatsmann, unmittelbar nützlich sein. Nur in diesem Sinne lässt sich nach Isokrates die Forderung vertreten, dass alle Menschen, insbesondere alle Redner, die in der Polis etwas Gutes bewirken wollen, sich mit der Philosophie beschäftigen sollten.
    Auf dieser Grundlage bemängelt Isokrates, dass die Philosophie der platonischen Akademie auf einer komplizierten esoterischen Ontologie beruht, die dem Common Sense unzugänglich bleibt, und dass sie zu viele theoretische und mathematische Elemente enthält, die für das Wissen des Guten und Richtigen und die Entfaltung der ethischen Persönlichkeit überflüssig sind. Philosophie im Sinne der Akademie ist daher praktisch nutzlos, und die Mitglieder der Akademie geben dies, wie Isokrates erstaunt und verärgert feststellt, sogar offen und provokativ zu.
    Auf diesen öffentlichen Angriff musste die Akademie natürlich reagieren – und sie reagierte tatsächlich, u.a. mit einer von Aristoteles verfassten Schrift, dem
Protreptikos
, einer Ermunterung zur Philosophie im akademischen Sinne. Von dieser Schrift sind

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