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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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umfangreiche Fragmente erhalten, denen sich eine raffinierte Argumentationslinie entnehmen lässt. 18 Aristoteles verteidigt nicht nur uneingeschränkt das Philosophieprogramm der Akademie, er formuliert in dieser öffentlichen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft auf dem zeitgenössischen Bildungsmarkt auch eine Kampfansage der akademischen Philosophie an die Rhetorik.
    Aristoteles verteidigt in seiner Replik die Nutzlosigkeit, das theoretische Wissen, die epistemische Zugänglichkeit und die Glücksorientierung der »akademischen« Philosophie in einer wegweisenden Form, die Isokrates’ Argumente gründlich unterminiert. Für die Akademie stellt das Philosophieren eine Tätigkeit dar, die mehr als vierundzwanzig Jahrhunderte später von großen philosophischen Autoren des 19. Jahrhunderts als »nicht entfremdet« bezeichnet und als Zentrum höchster menschlicher Aktivität verstanden wurde: als Tätigkeit, die um ihrer selbst willen betrieben wird – frei, selbstbestimmt, [61] nicht als Mittel zu irgendeinem anderen Zweck und in diesem pointierten Sinne nutzlos. Den Kern zweckfreier Aktivität und zugleich dessen, was den Menschen spezifisch auszeichnet, seine spezifische »Tugend« oder Exzellenz (
Arete
), bildet die geistige Tätigkeit, also Denken und rationales Fühlen. Und diese Aktivität wird von Philosophie und Wissenschaft (beides wurde noch nicht scharf unterschieden) besonders gepflegt. Zugleich definiert sie die politische Freiheit, also jenes Merkmal, das den freien Bürger einer demokratischen Polis vom Sklaven unterscheidet und daher von einer guten Verfassung zu sichern ist. Der Mensch ist allerdings auch Teil der Natur; und alle Dinge der Natur haben das höchste Ziel, als endliche Wesen in einer jeweils spezifischen Form am Ewigen teilzuhaben. Diese spezifische Form ist durch die jeweilige Exzellenz der Dinge oder Lebewesen bestimmt. Im Falle des Menschen ist das Glück (
eudaimonia
) die beste Form der Partizipation am Ewigen; und das Glück ist in dem Maße gegeben, in dem sich zweckfreie geistige Aktivitäten realisieren lassen. Insofern wird die Art und Weise, in der die Philosophie zum Glück beitragen kann, erst sichtbar, wenn die Stellung des Menschen im Rahmen der Natur analysiert wird. Das theoretische Wissen ist folglich notwendiger Bestandteil der Philosophie; dieses Wissen ist zugleich leichter zugänglich als das praktische Wissen, denn die Gegenstandsbereiche des theoretischen Wissens – die Logik, die Mathematik, die Physik, die Ontologie – weisen einfachere Strukturen auf als die Gegenstandsbereiche des praktischen Wissens – der Mensch, die Gesellschaft, der Staat, die Gerechtigkeit. Daher muss, wie Aristoteles folgert, der gute Redner und der gute Politiker – nach den Vorgaben, die Isokrates selbst einräumt – Philosophie im Sinne der platonischen Akademie betreiben, und nicht nur im platten Sinne des Isokrates. Philosophie im Sinne der platonischen Akademie ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Glücks und angemessener politischer Tätigkeit. Denn nur wenn wir in der Lage sind, den spezifischen Status des Menschen im Kreuzungspunkt [62] zwischen Natur, Geist und politischer Ebene angemessen zu bestimmen, können wir erkennen, wie ein gutes menschliches Leben aussieht.
    So sehr der junge Aristoteles nach außen den Standpunkt der platonischen Philosophie und Akademie verteidigte, so engagiert beteiligte er sich an der internen Kritik am Meisterdenker Platon. In seiner Schrift
Über die Formen
, die leider verloren ist, deren Kernthesen wir jedoch aus einigen Stellen der
Metaphysik
einigermaßen rekonstruieren können, hat er seine zentralen Einwände formuliert 19 :
    (a) Jede Form F wird als abgetrennt von F-Dingen angesehen; das führt zu einer unnötigen Verdoppelung der Dinge in der Welt, mit einem drohenden unendlichen Regress: Form F und F-Dinge sind ähnlich hinsichtlich F, daher ist eine Superform F* zu postulieren, an der die Form F und die F-Dinge gleichermaßen teilhaben und so ad infinitum. Diese Überlegung wurde
Argument vom dritten Menschen
genannt, weil ihr zufolge z. B. zu einem konkreten Menschen und der Form des Menschen eine dritte, höhere Menschenform zu postulieren war, an der die beiden ersten teilhaben.
    (b) Der Gegenstandsbereich der Formen ist zu groß, wenn für jeden Prädikator P eine Form P angenommen wird – eine Einschränkung auf »natürliche« Dinge ist nötig, aber ein Kriterium für diese Einschränkung wird nicht

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